28.12.2011

Deutsch-polnische Beziehungen

Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen
Einführung



Zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 
von den Anfängen bis zum 20. Jahrhundert – ein Überblick
B. Seidel-Dreffke


1. Einführung
2. Mittelalter
3. Frühe Neuzeit
4. 19. Jahrhundert
5. 20. Jahrhundert
6. Literaturhinweise




1.)  Einführung

Die über tausendjährige Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen ist geprägt von militärischen Allianzen, kriegerischen Auseinandersetzungen, Missverständnissen und völkerübergreifenden Annäherungsversuchen.

Im Mittelalter dominieren zeitlich begrenzte Verbindungen zu Kriegszeiten, die jedoch oft von unüberwindlichen Gegensätzen abgelöst werden. Ein weiteres Feld für gegenseitiges Misstrauen ist der Machtkampf innerhalb der römisch-katholischen Kirche, in dessen Ergebnis die polnische Kirche ihre institutionellen Selbständigkeit erlangt.

In der Frühen Neuzeit breitet sich der aus Deutschland importierte Protestantismus in Polen aus. Dies führt aber auch zu neuen Auseinandersetzungen auf religiösem Gebiet. Politisch verliert Polen schließlich seine Großmachstellung. Die instabile innenpolitische Lage wird von äußeren Feinden genutzt. Folge sind schließlich die polnischen Teilungen.

Das 19. Jahrhundert steht im Zeichen des Freiheitskampfes des polnischen Volkes. In Europa steigen die Sympathien für das polnische Volk. Es wird zum Symbol des Aufbegehrens aller Unterdrückten. Auch Intellektuelle in den Ländern der Okkupanten, Russland und Deutschland, unterstützen den polnischen Unabhängigkeitswillen.

Das 20. Jahrhundert ist geprägt von der Hoffnung auf Eigenständigkeit und neuem furchtbaren Leid des polnischen Volkes. Das letzte Jahrzehnt des Jahrtausends führt schließlich zu einer polnisch-deutschen Annäherung, die eine neue Etappe der Aussöhnung und des gegenseitigen Austauschs auf allen Gebieten markiert.

Die deutsch-polnischen Beziehungen stehen auch im Mittelpunkt zahlreicher historischer Untersuchungen. Das Literaturverzeichnis verschafft dazu einen kurzen Überblick.


Ein externer Link TS-Quiz zur Geschichte Polens



  

Deutsch-polnische Beziehungen 2

Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen
Mittelalter



Zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 
von den Anfängen bis zum 20. Jahrhundert – ein Überblick
B. Seidel-Dreffke


1. Einführung
2. Mittelalter
3. Frühe Neuzeit
4. 19. Jahrhundert
5. 20. Jahrhundert
6. Literaturhinweise




2.) Mittelalter

Um 1000: Unabhängigkeitsbestrebungen der polnischen Kirche

Es verschärft sich die Konkurrenz zwischen der polnischen und deutschen Kirche um die Verwaltungshegemonie: Otto der Große[1] wollte in Magdeburg das Erzbistum des östlichen Abendlandes gründen. Die Entwicklung einer eigenständigen Kirche in Polen aber zerstörte diese Bestrebungen.

Im Jahre 968 wurde das Bistum Posen gegründet und zunächst dem Erzbistum Magdeburg unterstellt. Der polnische König Boleslaw I. Chrobry[2] ließ den von den Pruzzen an der Weichselmündung erschlagenen Missionar Adalbert von Prag[3] in Gnesen beisetzen. Da Kaiser Otto III diesem böhmischen Märtyrer eine besondere Verehrung entgegenbrachte, pilgerte er im Jahre 1000 zu dessen Grab nach Gnesen. Im selben Jahr wurde das Erzbistum Gnesen gegründet, dem ab 1002 Posen eingegliedert wird. Mit diesem Akt entstand eine eigenständige polnische von Deutschland abgetrennte Kirche.


1000-1300: Die Herausbildung politischer und militärischer Verbindungen zwischen Polen und Deutschen

Die polnische Dynastie der Piasten[4], die den ersten geschichtlichen Herrscher Polens (Herzog Mieszko[5]) gestellt hatte, bemüht sich erfolgreich um Verbindungen zu deutschen Adelsgeschlechtern. Daraufhin siedeln sich deutsche Bauern und Ritter im Norden des Landes und in Schlesien an.

Ab 1226 entwickeln sich die militärischen Verbindungen zwischen Polen und Deutschen sehr lebhaft. In den kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Pruzzen[6] bittet Herzog Konrad von Masowien[7] die deutschen Kreuzritter um Hilfe. Damit ist ein wichtiger Schritt zur Etablierung der Hegemonie des Deutschen Ordens[8] in Polen getan.

Zwischen 1200 und 1400 dringen aus Asien mongolisch-tatarische Heere nach Westen vor. Sie besetzen große Teile Russlands und versuchen, auch gegen Europa anzustürmen. Polnisch-deutsche Militärverbindungen tragen zum Zurückdrängen der Mongolen bei.

Die Folge der kriegerischen Auseinandersetzung eines polnisch-deutschen Heeres mit den Mongolen bei Liegnitz (Legnica) im Jahre 1241 sind der Beginn von Zerfallserscheinungen im Herrschaftsbereich der Mongolen.


1300-1500: Zunehmende Auseinandersetzungen zwischen Polen und dem Deutschen Ritterorden

Der deutsche Orden kann beträchtliche Landgewinne in polnischen Gebieten verzeichnen.

Die Pomerellen, das Kulmer Land und die Michelau fallen an den Orden.

Der polnische König Kazimierz III[9]. verzichtet auf territoriale Ansprüche im Westen und expandiert nach Osten. Im 15. Jahrhundert gelingt es den Polen zunächst den Einfluss des deutschen Ritterordens zurückzudrängen. Im Jahre 1410 siegen bei der Schlacht von Tannenberg (polnisch Grundwald) Polen und Litauer über den Deutschen Orden. Als sich im Jahre 1454 die Stände Preußens gegen den Deutschen Orden erheben, wird die Landherrschaft schließlich an den polnischen König übertragen. Es entwickeln sich allerdings territoriale Auseinandersetzungen zwischen Polen und Preußen. Der Zweite Thorner Frieden lässt schließlich Danzig, die Pomerellen, Kulm, das Ermland, Marienburg und Elbig an Preußen fallen.



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[1] Otto der Große (eigentlich Otto I) (912-973) ist von 962-973 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Otto wirft Aufstände der Herzöge gegen sich nieder und ordnete das Reich neu. Durch eine geschickte Erbfolgepolitik stehen schließlich alle Herzogtümer im Reich in enger dynastischer Verbindung zum Kaiser. Otto gelingt es, die Grenzen des Reiches sowohl zu sichern, als auch sein Herrschaftsgebiet erheblich auszudehnen.

[2] Boleslaw I. Chrobry (um 966 bis 1025) wird erster König Polens. Er führt die Expansions- und Einigungspolitik seiner Vorgänger weiter. Er unterwirft Schlesien, Kleinpolen und Pommern.

[3] Der heilige Adalbert von Prag (um 956 bis 997) war Bischof und Patron Polens. Nach seiner theologischen Ausbildung an der Domschule zu Magdeburg erfolgt 983 seine Ernennung zum Bischof von Prag. Nach dem Scheitern seiner Missionsbestrebungen in Böhmen, begibt er sich nach Rom. Im Auftrag des Königs Boleslaw I. kommt Adalbert 997 als Missionar nach Polen, wo er noch im selben Jahr von heidnischen Pruzzen (Preußen) getötet wird. Boleslaw lässt seine Gebeine daraufhin in Gnesen bestatten. Adalbert wird im Jahr 999 heilig gesprochen.

[4] Die Piasten stellen das erste polnische Herrscherhaus. Es wird im 9. Jahrhundert begründet und stellt mit Herzog Mieszko ab etwa 960 den ersten Herzog von Polen.

[5] Mieszko I. ist seit etwa 960 der erste Herzog Polens. Er ist der erste historisch belegbare Herrscher über das Siedlungsgebiet der Polanen um Posen und Gnesen. Er schafft während seiner Regierungszeit die organisatorischen Grundlagen für eine Monarchie in Polen. Im Jahre 990 unterstellt Mieszko sein Land dem Heiligen Stuhl. Er stirbt 992.

[6] Bei den Pruzzen (auch Prußen oder Preußen) handelt es sich ursprünglich um baltische Stämme, die in dem Gebiet zwischen Memel und unterer Weichsel ihre Siedlungsgebiete hatten. Es sind zunächst vor allem freie Bauern, die sich in kleineren Stammesverbänden organisieren. Ihre Christianisierung beginnt relativ spät mit der Unterwerfung durch den Deutschen Orden. Im Zuge der Ostkolonialisation durch den Deutschen Orden kommen deutsche Siedler in das Land der Pruzzen. Im 15. Jahrhundert setzt dann eine Verschmelzung der zugewanderten Deutschen mit den ansässigen Pruzzen ein. Die Bezeichnung Preußen geht schließlich nach und nach auf alle Bewohner des Gebiets zwischen Memel und unterer Weichsel, sowie auf das Gebiet der Preußen selbst über.

[7] Konrad von Masowien (1187-1247) erhält im Jahre 1199 die vorläufige herzogliche Gewalt über Masowien und Kujawien. Im Laufe seines Lebens kommen noch andere Gebiete hinzu. Konrad bemüht sich vor allem um den inneren Landesausbau und die Anknüpfung an die hochmittelalterliche deutsche Ostsiedlungsbewegung.

[8] Der Deutsche Orden (auch Deutschritterorden, Deutschherrenorden, Kreuzritterorden) ist ein im Jahre 1190 während der Belagerung von Akko im Rahmen des 3. Kreuzzuges von Bremer und Lübecker Kaufleuten gegründeter Krankenpflegerorden. Im Jahre 1199 wird dieser in einen geistlichen Ritterorden mit Sitz in Akko umgewandelt. Das Zentrum der Ordensaktivitäten verlagert sich bereits im 13. Jahrhundert vom Heiligen Land ins Baltikum. Kaiser Friedrich II. ermächtigt den Orden 1226 in der Goldbulle von Rimini die Heiden des Nordens zu bekehren und selbst in den eroberten Gebieten zu herrschen. Es wird so die Grundlage für den Deutschordensstaat geschaffen. Schließlich wird der Ordensstatt zu einer bedeutenden Wirtschaftsmacht im Ostseeraum. Nach Abschluss der Christianisierung des Baltikums gerät der Orden zunehmend in Gegensatz zu Polen, das durch eine Personalunion mit Litauen verbunden ist. In Litauen konnte der Orden nie Fuß fassen.

Im Jahre 1809 wird der Orden durch Napoleon aufgelöst. Er wird 1834 in Österreich als „Hoch- und Deutschmeisterorden“ wiedergegründet. Im Mittelpunkt steht nun die Wohltätigkeitsarbeit. Von 1938 bis 1945 wird der Orden verboten. Nach 1945 wird er in Österreich und der Bundesrepublik wiederbelebt.

[9] Kazimierz III (der Große) (1310-1370) herrscht von 1333 bis 1370 als König von Polen. Er ist gleichzeitig der letzte und bedeutendste Herrscher der Piasten-Dynastie. Er stärkt durch Anwerbung deutscher Siedler, die Förderung von Städtegründungen und die erstmalige Kodifizierung des polnischen Rechts die Wirtschaft und Verwaltung Polens.



  

Deutsch-polnische Beziehungen 3

Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen
Frühe Neuzeit



Zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 
von den Anfängen bis zum 20. Jahrhundert – ein Überblick
B. Seidel-Dreffke


1. Einführung
2. Mittelalter
3. Frühe Neuzeit
4. 19. Jahrhundert
5. 20. Jahrhundert
6. Literaturhinweise





3.) Frühe Neuzeit

Um 1500: Vordringen der Reformation nach Polen

In vielen Gebieten Deutschlands setzt sich zunehmend die Reformation durch. Dadurch geraten Deutsche teilweise in heftigen Gegensatz zum polnischen Katholizismus, wobei reformatorische Ideen auch nach Polen vordringen.

Das Luthertum findet vor allem bei der deutschen Bevölkerung in den großpolnischen Städten und in Krakau Eingang, die zum Teil noch aus der mittelalterlichen Einwanderungswelle stammt. Aber auch neu einwandernde Personen sorgen für die Verbreitung der Lehre. Einzelne großpolnische Adlige finden ebenfalls am Luthertum Gefallen. Besonders in Danzig fallen die Ideen der Reformation auf fruchtbaren Boden. Dort hebt der Rat der Stadt die Klöster auf, zieht das Kirchenvermögen ein und ernennt evangelische Pastoren für die Stadtkirchen.

Der polnische König versucht allerdings, auch mit teilweise rigiden Maßnahmen, die Vormachtstellung der katholischen Kirche zu sichern.

Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts setzt sich auch am polnischen Königshof eine tolerantere Haltung gegenüber der Reformation durch. 1555 wird dem Adel schließlich faktisch das Recht auf Glaubensfreiheit zugestanden. So wird Polen, gerade während des 30jährigen Krieges für viele Protestanten zu einem Zufluchtsort.

Eine große Bedeutung hat die im 16. Jahrhundert gegründete Universität Königsberg in Preußen für die Reformation in Polen.


1500-1600: Polen als Schutzmacht des Deutschen Ordens

Im Jahre 1525 leistet der Hochmeister des Deutschen Ordens den Lehnseid vor dem polnischen König. Auf diese Weise gewinnt er einen Verbündeten gegen die Großmächte Russland und Schweden. Im Jahr 1559 verbündet sich der Deutsche Orden mit Polen in Livland gegen Moskau. 1561 beanspruchen Livland und Riga den Schutz der polnischen Krone in der Auseinandersetzung mit Russland. Dem deutschen Adel bleiben alle seine alten angestammten Rechte (Deutsches Recht, Protestantismus, sozialer Stand) erhalten.

Im 16. Jahrhundert beginnt eine neue Welle deutscher Siedlungsbewegungen in Polen. Unter der Herrschaft der Jagiellonen[10], die das Land bis 1572 regieren, gelangt Polen zur Großmachtstellung in Europa. Es erlebt eine wirtschaftliche und politische Blüte. Die polnische Ostgrenze verläuft ca. 100 km vor Moskau. Es kommt zu einer Ostabwanderung polnischer Bauern. Deshalb werden neue Siedler benötigt. Der polnische Adel siedelt neben polnischen und niederländischen auch deutsche „Waldbauern“ auf abgelegenen Einöden an.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kommt es zu gravierenden innenpolitischen Veränderungen in Polen. Als die Regierungszeit der Jagiellonen endet, folgt in Polen ab 1573 die Zeit der Wahlkönige. Am längsten (45 Jahre) hält sich der Schwede Sigismund III[11]. auf dem polnischen Thron. Er verlegt Polens Hauptstadt nach Warschau.


1600-1800: Verlust der polnischen Großmachtstellung

Polen verliert mehr und mehr seine Großmachtstellung. Um sich gegen innere und äußere Feinde durchzusetzen wird eine Union mit Sachsen angestrebt und schließlich vollzogen. Vor allem mit Russland und Preußen gerät Polen mehr und mehr in Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen. Im Jahre 1697 wird der sächsische Kurfürst Friedrich August zum polnischen König August II[12] gewählt. 1733 marschieren russische Truppen in Warschau ein. Der gewählte polnische Thronanwärter muss zugunsten der Sachsen abtreten.

Der Siebenjährige Krieg (1756-1763) führt zu einem wirtschaftlichen Ruin Sachsens und Polens durch die preußische Kriegsführung und Politik. Im Jahre 1772 erfolgt die erste Teilung Polens. Das Land wird innenpolitisch immer instabiler. Vor allem die heterogenen Interessen des polnischen Adels verhindern die Lösung überlebenswichtiger Probleme. Russland, Österreich und Preußen nutzen diese Konflikte aus. Polen verliert ein Drittel seines Gebietes. Westpreußen geht an Preußen und Galizien an Habsburg.

Der polnische Staat bemüht sich um Reformen. An einem erneuten Erstarken Polens ist den Teilungsmächten aber nicht gelegen. Die russische Zarin Katharina II verbietet die Anwendung einer vom polnischen Sejm 1791 beschlossenen Verfassung, die Polen in eine konstitutionelle Erbmonarchie umwandeln soll. Daraufhin kommt es in Polen zu einem Aufstand, dem 1792 die zweite Teilung Polens folgt. Die Sejmabgeordneten werden gezwungen, die Hälfte des verbliebenen polnischen Reiches an die Teilungsmächte Russland und Preußen abzutreten. An Preußen fallen Danzig, Thorn, Teile Masowiens und Großpolens. Es kommt zu einem Aufstand unter Tadeusz Kosciuszko[13], der allerdings im Jahre 1794 durch preußische und russische Truppen niedergeschlagen wird. In der Konsequenz wird Polen 1795 ein drittes Mal aufgeteilt. Preußen erhält: Masowien, Bialystok, Suwalki. Warschau bleibt bis 1806 preußisch.



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[10] Grundstein der in Polen über viele Jahre führenden Jagiellonendynastie legt die Hochzeit der ungarischen Fürstentochter Jadwiga und des Großfürsten Jagiello von Litauen, die nach dem 1370 ohne direkten Nachkommen verstorbenen polnischen König Kasimir des Großen die Herrschaft in Polen übernehmen. Krakau wird zur Hauptstadt des ausgedehnten Jagiellonenreiches (vereinigtes Polen und Litauen).

[11] Sigismund III (1566-1632) war ursprünglich schwedischer Thronfolger. Er wird wegen seiner Politik der Gegenreformation im protestantischen Schweden 1599 vom Reichstag abgesetzt. In Polen hält er sich bis zu seinem Tode auf dem Thron.

[12] August II (auch der Starke) (1670-1733) stellt nach dem Tod des polnischen Königs Johann Sobieski im Jahre 1696 Ansprüche auf den polnischen Thron. Um sein Ziel zu erreichen, konvertiert er sogar zum Katholizismus. 1697 wird er zum polnischen König gewählt. Er muss 1706 zugunsten von Stanislaw Leszczynski auf die polnische Krone verzichten. Nach dem Sieg der Russen über die Schweden bei Poltawa beginnt August mit der Rückeroberung Polens. Er gewinnt schließlich die polnische Krone zurück. 1719 wird er offiziell als polnischer König bestätigt. Er stirbt in Warschau.

[13] Tadeusz Andrzej Bonaventura (1746-1817) geht in die Geschichte als polnischer Offizier und Freiheitskämpfer ein. Er begibt sich  1776 nach Amerika, um am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teilzunehmen. Im Jahre 1784 kehrt er nach Polen zurück und leitet ab 1794 den Freiheitskampf in Polen. Jedoch endet der Aufstand mit einer Niederlage. Nach 1798 lebt Bonaventura in Frankreich und in der Schweiz und kämpft weiter vergeblich für die polnische Sache.



  

Deutsch-polnische Beziehungen 4

Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen
19. Jahrhundert



Zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 
von den Anfängen bis zum 20. Jahrhundert – ein Überblick
B. Seidel-Dreffke


1. Einführung
2. Mittelalter
3. Frühe Neuzeit
4. 19. Jahrhundert
5. 20. Jahrhundert
6. Literaturhinweise





4.) Das 19. Jahrhundert 

1800-1850: Kampf um Wiedererlangung der polnischen Selbständigkeit

Das Jahrhundert ist geprägt von Bestrebungen der Wiedererlangung der Einheit und Selbstständigkeit Polens. Diese Bewegung wird von großen Teilen der europäischen Intelligenz mit Sympathie begleitet.

Polnische Beamte finden nur selten Zugang zu den zentralen Verwaltungsbehörden. Jedoch sind viele geringere Landratsposten mit Polen besetzt. Man versucht, vor allem im Schulwesen, die Germanisierung so weit wie möglich zu verhindern bzw. zurückzudrängen. Religion und Muttersprache werden als „höchste Heiligtümer der Nation“ von der Obrigkeit geachtet.

Das Aufeinanderprallen preußischer  und polnischer Traditionen fördern bei der polnischen Bevölkerung mehr und mehr die Entwicklung eines Nationalbewusstseins und eines Bedürfnisses, die fremden Eindringlinge abzuschütteln. Im Jahre 1815 beschließt der  Wiener Kongress die Schaffung eines „Königreichs Polen“ aus dem Herzogtum Warschau in einer Personalunion mit Russland. Der russische Zar wird gleichzeitig als polnischer König eingesetzt. Theoretisch wird den Polen die Zusicherung der Einheit der polnischen Nation durch Sprache und freien Verkehr (Freizügigkeit) gegeben. Der Westteil des Landes geht nun als Großherzogtum Posen an Preußen, Galizien bleibt bei Österreich, Krakau wird „freie Stadt“.

Es kommt auch zu Aufständen der Polen in den russisch besetzten Gebieten. Nach Deutschland ziehende geschlagene Aufständische werden dort von der sympathisierenden Bevölkerung teilweise begeistert unterstützt. Höhepunkt ist das Fest auf dem Hambacher Schloss 1832 mit der gemeinsamen Parole „Für unsere und Eure Freiheit!“


1850-1900: Aufstände und Repressionen

Es kommt zu zahlreichen Aufständen in den einzelnen besetzten Gebieten. Es entstehen Emigrationswellen von Polen in verschiedene Länder der Welt. Dem Streben nach einem homogenen deutschen Nationalstaat steht nun immer mehr das Streben der Polen nach einem eigenen Nationalstaat entgegen. Es kommt auch zu tiefgreifenden Auseinandersetzungen auf kulturellem Gebiet. Reichskanzler Bismarck[14] entzieht der Kirche die Aufsicht über die Schule. Dies sehen die Polen als einen gezielten Schlag gegen die katholische Kirche und reagieren mit Gegenwehr. Die deutsche Obrigkeit will dieser mit einer gezielten Germanisierung begegnen. Im Jahre 1876 wird Deutsch als alleinige Amtssprache im preußischen Teilgebiet proklamiert. In den Jahren 1885/1886 werden die aus dem Königreich Polen stammenden jüdischen und polnischen Wanderarbeiter ausgewiesen. Dies erfolgt in sehr harter Form und stößt nicht nur bei den Polen, sondern auch bei der Reichstagsmehrheit des Kaiserreichs auf harsche Kritik.



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[14] Bismarck, Otto Eduard Leopold, Graf von (1815-1898) wird 1871 erster Kanzler des Deutschen Reiches und behält diesen Posten bis 1890 inne.




  

Deutsch-polnische Beziehungen 5

Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen
20. Jahrhundert



Zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 
von den Anfängen bis zum 20. Jahrhundert – ein Überblick
B. Seidel-Dreffke


1. Einführung
2. Mittelalter
3. Frühe Neuzeit
4. 19. Jahrhundert
5. 20. Jahrhundert
6. Literaturhinweise





5.) Das 20. Jahrhundert 

1900-1939: Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit

1914 beginnt der Erste Weltkrieg. Der polnische Offizier Jozef Pilsudski[15] versucht die Chance Polens, seine Selbständigkeit wiederzuerlangen, zu nutzen. Er hofft auf die Niederlage Russlands und der Mittelmächte. Zunächst kämpft er mit seinen Verbänden auf österreichischer Seite und verbündet sich schließlich mit den Westmächten. Im Jahre 1916 kommt es zur Proklamation eines „Königreichs Polen“ ohne souveräne staatliche Kompetenzen. Es gibt Diskussionen wie die Gebiete Schlesien, Pommern, West- und Ostpreußen zurückzugewinnen seien. Im Januar des Jahres 1918 fordert Präsident Wilson[16] die Schaffung eines unabhängigen polnischen Staates. Im November bricht die deutsche Verwaltung in Warschau zusammen. Pilsudski kehrt aus der Festung Magdeburg nach Polen zurück. Er wird Staatschef des wieder unabhängigen Polen. 1919 legt der Vertrag von Versailles die Westgrenze Polens fest. Nach einer Volksabstimmung bleibt der südliche Teil Ostpreußens beim Deutschen Reich. In Oberschlesien findet 1921 eine Volksabstimmung statt. 60% votieren für Deutschland, 40 % für Polen. Schließlich kommt es zur Teilung Oberschlesiens: Gleiwitz, Beuthen, Hindenburg blieben deutsch, Kattowitz wird polnisch.

Es kommt zu wachsenden Spannungen zwischen Polen und Deutschland.

Der Abschluss eines Nichtangriffspaktes mit Deutschland im Jahre 1934 soll Polen formal vor einem neuen Überfall durch ein ehemaliges Besatzerland schützen.


1939-1945: Der deutsche Überfall auf Polen im Zweiten Weltkrieg

Bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges besiegelt der sogenannte „Hitler-Stalin-Pakt“ mit seinem geheimen Zusatzprotokoll die Abgrenzung der Interessen Berlins und Moskaus in bezug auf Polen. Am 01. September des Jahres marschiert die deutsche Armee ohne Kriegserklärung in Polen ein. Da die Rote Armee ab 17. September aktiv in die Kampfhandlungen eingreift, ist bereits nach 18 Tagen die militärische Niederlage Polens unabwendbar. Die Sowjetunion und das Deutsche Reich teilen sich entlang der Demarkationslinie das Territorium auf. Polen hört wieder auf, als Staat zu existieren. Dabei haben die deutschen Besatzer schon bald mit aktivem polnischen Widerstand zu kämpfen. Das brutale Vorgehen der SS und der von den Deutschen gestellten Milizen verstärken den Hass auf die Besatzungsmacht. Ein von den Deutschen vorgesehenes Germanisierungsprogramm hat das Ziel, die polnische Bevölkerung aus den besetzten Gebieten auszutreiben und zu versklaven, sowie die Intelligenz zu vernichten.

Ein Fünftel aller Polen hat am Ende des Krieges das Leben eingebüßt.

Im Jahr 1944 verzeichnet die Rote Armee immer mehr Gebietsgewinne im Westen. Mit ihrem Eindringen auf das Gebiet des Deutschen Reiches verlassen viele Deutsche zwangsweise ihre Heimat. Das Schicksal der Vertriebenen stellt eine weitere Tragödie des Krieges dar.

Das Potsdamer Abkommen legt am 02. 08. 1945 neue Nachkriegsgrenzen fest. Die polnische Grenze wird nach Westen verschoben. Alle Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie fallen an Polen. Es werden zahlreiche Deutsche aus den zu Polen gehörenden Gebieten umgesiedelt. Insgesamt verlassen Polen bis 1950 ca. 3,2 Millionen Deutsche.


Nach 1945: Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und den beiden deutschen Staaten

Polen ist sowjetisch dominiert. Die beiden nach dem Krieg entstandenen Staaten betreiben in bezug auf Polen eine unterschiedliche Politik. Die Außenpolitik wird durch die jeweilige Supermacht (USA, UdSSR) diktiert. Mit der dem sozialistischen Ostblock zugeordneten DDR wird eine freundschaftliche Zusammenarbeit aufgebaut. Zwischen  der BRD und Polen gestalten sich die Beziehungen lange Zeit schwierig. Ein Hauptgrund dafür ist der Streit über die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.

Auf der 4. Tagung der Konferenz der Stellvertretenden Außenminister der vier Großmächte 1947 in Moskau bestreiten die Westmächte den endgültigen Charakter der Potsdamer Entscheidung hinsichtlich der deutsch-polnischen Grenze. Dies wird von der Sowjetunion stark kritisiert. Gleichzeitig protestiert Polen gegen die Infragestellung der Oder-Neiße-Linie.


1949-1990: Beziehungen zwischen VR Polen und DDR

Am 12. 10. 1949 erklärt der Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl[17], in seiner ersten Regierungserklärung, dass die DDR die Westgrenze Polens endgültig anerkennt. Am 18. 10. 1949 erkennt Polen die DDR an und nimmt mit ihr diplomatische Beziehungen auf. Im Juni 1950 unterzeichnen Polen und die DDR in Görlitz schließlich ein Abkommen über die Markierung der deutsch-polnischen Grenze an Oder und Neiße.

Im Jahre 1953 gibt die polnische Regierung in einer Erklärung ihren Verzicht auf weitere Wiedergutmachung seitens der DDR bekannt.

1955 erklärt Polen den Kriegszustand mit Deutschland für beendet. Dieser Beschluss bezieht sich auf eine adäquate Entschließung des Obersten Sowjets der UdSSR. Im selben Jahr unterzeichnen Albanien, Bulgarien, die ČSSR, DDR, Polen, Rumänien, Sowjetunion und Ungarn einen Beistands- und Freundschaftspakt (Warschauer Pakt).

Ein auf 20 Jahre ausgelegtes Abkommen über Freundschaft und Zusammenarbeit wird 1967 zwischen Polen und der DDR unterzeichnet. Grundlage dafür bilden die gegenseitige Anerkennung der territorialen Integrität beider Staaten und die Aufforderung an die BRD die Grenze zur DDR und zwischen DDR und Polen zu respektieren.

Im Jahre 1971 kommt es zur Unterzeichnung eines Abkommens zwischen Polen und der DDR über den Grenzverkehr. Mit dem Inkrafttreten dieses Abkommens (1. Januar 1972) wird die Grenze für Staatsangehörige beider Länder offen.

In den 70er und 80er Jahre finden zahlreiche gegenseitige Partei- und Staatsbesuche zwischen der DDR und der VR Polen statt. Der kulturelle und wirtschaftliche Austausch wird intensiviert.

Die von Solidarnosc geführten Demokratisierungsbestrebungen finden zwar in der Bevölkerung der DDR Widerhall, stoßen aber auf rigide Abgrenzungsversuche seitens der Staatsführung der DDR.


1949-1990: Beziehungen zwischen VR Polen und BRD

Am 20. September 1949 spricht sich Bundeskanzler Adenauer[18] in seiner ersten Regierungserklärung gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze aus.

Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern bleiben aufgrund des Grenzproblems gespannt. Im Jahr 1957 erklärt sich W. Gomulka[19] (1. Sekretär der PVAP) bei einer Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die BRD bereit, die Beziehungen Polens zur Bundesrepublik zu normalisieren. Die Bundesregierung ist dazu noch nicht bereit.

Dennoch gehen die Bemühungen um eine gegenseitige Annäherung weiter. Ein dreijähriges Handelsabkommen zwischen Polen und der BRD wird 1963 unterzeichnet. Einen besonderen Meilenstein markiert dabei das Jahr 1970. In diesem Jahr besucht Bundeswirtschaftsminister Schiller[20] als erstes Mitglied der Bundesregierung offiziell die VR Polen.

Am 12. August wird der Moskauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion geschlossen. Darin verzichtet die deutsche Seite auf Gebietsansprüche und bezeichnet die Oder-Neiße-Grenze und die Grenze zur DDR als unverletzlich.

Im Oktober des Jahres wird ein langfristiges Abkommen zwischen der BRD und Polen über den Warenverkehr und die Zusammenarbeit auf wirtschaftlich-technischem Gebiet abgeschlossen. Am 07.12. kommt es zur Unterzeichung des Warschauer Vertrages. Dieser bildet die Grundlage der Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Eine besondere Bedeutung hat dabei der Besuch von Bundeskanzler Brandt[21] an der Spitze der deutschen Delegation in den Warschauer Gedenkstätten. Weltweite Beachtung ruft der Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos hervor.

In den Jahren 1972-1980 kommt es zur Unterzeichnung verschiedener Abkommen zwischen BRD und Polen (Fischereiabkommen, Abkommen über die Entwicklung der wirtschaftlichen, industriellen und technischen Zusammenarbeit, über den zivilen Luftverkehr, über kulturelle Zusammenarbeit u.a.) Es erfolgen gegenseitige Staatsbesuche. Im Jahr 1972 werden offiziell diplomatische Beziehungen zwischen der BRD und Polen aufgenommen. Wichtiger Höhepunkt für den weiteren Friedensprozess in Europa ist 1975 die Unterzeichnung der Schlussakte der KSZE in Helsinki. Es wird darin die Unantastbarkeit der Grenzen und der territorialen Integrität der europäischen Staaten betont. 1977 findet in Bonn findet das erste „Forum Bundesrepublik Deutschland – VR Polen“ statt. Daran nehmen Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und der Intellektuelle teil. Hauptdiskussionsthema ist die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Im selben Jahr besucht Bundeskanzler Schmidt[22] Polen.

In den Jahren 1983-1989 gibt es nach Aufhebung des Kriegsrechts in Polen weitere Annäherungsversuche zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der VR Polen.


1990-2003: Beziehungen zwischen Polen und dem wiedervereinten Deutschland

Nach der deutschen Vereinigung werden Anstrengungen unternommen, eine neue Qualität der Beziehungen zwischen Polen und Gesamtdeutschland zu erreichen. Es werden neue Abkommen abgeschlossen und die Zusammenarbeit wird auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet ausgebaut.  Im Jahr 1990 wird ein Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze abgeschlossen.

Im 17. Juni 1991 wird der Vertrag zwischen BRD und Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit abgeschlossen. Im Zusammenhang mit diesem Vertrag  kommt es zur Unterzeichnung einzelner Abkommen und Vereinbarungen: über das Deutsch-Polnische Jugendwerk, Vereinbarung über die Bildung eines Deutsch-Polnischen Umweltrates, Notenwechsel über die Einrichtung der Deutsch-Polnischen Regierungskommission für regionale und grenznahe Zusammenarbeit.

Im Jahr 1998 beginnen die offiziellen Beitrittsverhandlungen Polens mit der EU. Gemeinsam mit Ungarn und Tschechien wird Polen 1999 in die NATO aufgenommen.

Das Jahr 2003 markiert den Beginn der Schaffung der offiziellen Rahmenbedingungen für Polens Beitritt zur EU im Jahre 2004.



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[15] Jozef Klemens Pilsudski (1867-1935) prägt den Verlauf der polnischen Geschichte im 20. Jahrhundert entscheidend. Bereits während seiner Studentenzeit engagiert er sich in der sozialistischen Bewegung, die sich für die Unabhängigkeit Polens von Russland einsetzt. Wegen angeblicher Beteiligung an einer Verschwörung zur Ermordung des Zaren Alexander III wird er von russischen Behörden festgenommen und, obwohl ihm keine Schuld nachgewiesen werden kann, nach Sibirien verbannt. Pilsudski kehrt 1892 aus der Verbannung zurück und beteiligt sich an der Gründung der Polnischen Sozialistischen Partei , deren Ziel vorrangig im Kampf für die Unabhängigkeit Polens besteht.  Im I. Weltkrieg kämpfte Pilsudski auf Seiten der Mittelmächte gegen Russland. Einem von den Mittelmächten für das Königreich Polen eingesetzten Staatsrat gehörte auch Pilsudski an. 1917 wird er von den Deutschen verhaftet, da er eine unabhängige polnische Regierung fordert. Nach seiner Freilassung 1918 kehrt er nach Warschau zurück, wird Oberbefehlshaber der polnischen Armee und übernimmt schließlich als Staatschef auch die politische Macht in der polnischen Republik. Obwohl Pilsudski 1922 unter der neuen demokratischen Verfassung auf die Kandidatur für das Präsidentenamt verzichtet und als Generalstabschef zurücktritt, bleibt er bis zu seinem Tode der starke Mann in Polen. Von 1926 bis 1935 ist er Kriegsminister und Oberbefehlshaber der Truppen. 1933 erwägt er einen Präventivkrieg gegen Deutschland, stößt aber bei Frankreich auf Ablehnung, was schließlich zum Abschluss des Nichtangriffspaktes mit Hitler führt.

[16] Thomas Woodrow Wilson (1856-1924) ist von 1913 bis 1921 Präsident der USA. Außenpolitisch spielt er eine bedeutende Rolle bei der Gründung des Völkerbundes.

[17] Otto Grotewohl (1894-1964) ist von 1949 bis 1964 Ministerpräsident der DDR.

[18] Konrad Adenauer (1876-1967) ist von 1949 bis 1963 erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er prägt während  seiner langen Amtzeit wesentlich die Außen- und Innenpolitik der Bundesrepublik. Sein wichtigstes außenpolitisches Ziel, ist die Westintegration der Bundesrepublik.

[19] Die Politik Wladyslaw Gomulkas (1905-1982) prägt die Nachkriegspolitik Polens entscheidend. Sein bereits frühes Engagement in der kommunistischen Partei bringt ihn mehrmals ins Gefängnis. Während des II. Weltkriegs kämpft er im polnischen Widerstand. Zwischen 1945 und 1949 ist der stellvertretender Ministerpräsident und Minister „für die wiedergewonnenen Gebiete“ im Westen Polens. Gomulka versucht einen gegenüber der sowjetischen Staatsführung unabhängigen Kurs zum Sozialismus zu verfolgen. Dies führt zu seiner Verhaftung im Jahre 1951. Erst 1954 wird er im Zuge der Entstalinisierung entlassen und rehabilitiert. Er wird erster Sekretär des Zentralkomitees der Partei und übernimmt damit eine führende Rolle in Polen. Er muss allerdings nach den schweren Unruhen 1970 zurücktreten.

[20] Karl Schiller (1911-1994) ist zwischen 1966 bis 1972 Bundeswirtschaftsminister. Schließlich gerät er wegen seines Sparkonzepts zunehmend in Konflikt mit seiner Partei. Er muss als Wirtschafts- und Finanzminister zurücktreten.

[21] Willy Brandt (1913-1992) ist zwischen 1969 und 1974 der vierte Bundeskanzler der Bundesrepublik. Er ergänzt die von Adenauer in der Ära des Kalten Krieges begründete Westintegration der BRD durch eine Politik der Verständigung und Aussöhnung mit Osteuropa.

[22] Helmut Schmidt (*1918) ist zwischen 1974 und 1982 der fünfte Bundeskanzler der Bundesrepublik. Seine Amtszeit ist geprägt von Problemen der schwersten Weltwirtschaftskrise seit 1929 und durch die Verschärfung der innenpolitischen Situation als Folge der Mordanschläge der linksterroristischen Rote-Armee-Fraktion. Er wird nach einem konstruktiven Misstrauensvotum von Helmut Kohl als Bundeskanzler abgelöst. Seit 1983 wirkt Schmidt an der Mitherausgabe der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ mit.



  

Deutsch-polnische Beziehungen 6

Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen
Literaturhinweise



Zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 
von den Anfängen bis zum 20. Jahrhundert – ein Überblick
B. Seidel-Dreffke


1. Einführung
2. Mittelalter
3. Frühe Neuzeit
4. 19. Jahrhundert
5. 20. Jahrhundert
6. Literaturhinweise




6.) Literaturhinweise

Arendt, Dieter: Aspekte des Miteinanders: zu den kulturellen Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1989.

Barbian, Jan-Pieter: Erlebte Nachbarschaft: Aspekte der deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert. Wiesbaden 1999.

Bibliographie zu den deutsch-polnischen Beziehungen. Osnabrück 2000.

Bonin, Thora von: 1000 Jahre deutsch-polnische Beziehungen. Wiesbaden 1998.

Borodziej, Wlodzimierz: Deutsch-polnische Beziehungen 1939 – 1945 – 1949: eine Einführung. Osnabrück 2000.

Cieśliczak, A.: Polska zwrócona na zachód. Warzawa 1939.

Deutsche und Polen – Geschichte einer Nachbarschaft: Handbuch für Geschichtslehrer Frankfurt/Main 1994.

Dralle, Lothar: Preußen, Deutschland, Polen im Urteil polnischer Historiker. Berlin 1983.

Drewniak, Boguslaw: Polen und Deutschland 1919-1939: Wege und Irrwege kultureller Zusammenarbeit. Düsseldorf 1999.

Eberwein, Wolf-Dieter: Deutsch-polnische Beziehungen zehn Jahre nach der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages: eine Werte- und Interessengemeinschaft? Berlin 2001.

Eberwein, Wolf-Dieter: Die deutsch-polnischen Beziehungen 1949-2000: eine Werte- und Interessengemeinschaft? Opladen 2001.

Fiedor, Karol: Wybrane problemy historii Polski i Niemiec XIX i XX wieku. Wroclaw 1998.

Fischer, Peter: Handbuch Polen-Kontakte: Institutionen – Projekte – Initiativen. Osnabrück 2000.

Kessler, Wolfgang: Fünfzig Jahre Forschung zur Geschichte der Deutschen in Polen: die Historisch-Landeskundliche Kommission für Posen und das Deutschtum in Polen und die Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen 1950-2000 [Beiträge der Jubiläumstagung am 26. und 27. Mai 2000 im Herder-Institut in Marburg/Lahn]. Herne 2001.

Kolago, Lech: Związki niemiecko-polskie w dziedzinie kultrury, literatury i języka. Warzawa 1997.

Kosellek, Gerhard: Reformen, Revolutionen und Reisen: deutsche Polenliteratur. Wiesbaden 2000.

Lawaty, Andreas: Deutsch-polnische Beziehungen in Geschichte und Gegenwart: Bibliographie: 1900-1998. Wiesbaden 2000.

Ludat, Herbert: Polen und Deutschland. Köln 1963.

Meissner, Lucjan: Związki niemiecko-polskie w kulturze i polityce. Warzawa 1993.

Morhard, Bettina: Das deutsch-polnische Grenzgebiet als Sonderfall europäischer Regionalpolitik: die institutionelle Ausgestaltung zur Förderung grenzüberschreitender Kooperation im Kontext der EU-Erweiterungsstrategien im Zeitraum von 1989 bis 1998. Berlin 2001.

Pommerin, Reiner: Quellen zu den deutsch-polnischen Beziehungen: 1815-1991. Darmstadt 2001.

Roth, Klaus: Nachbarschaft: interkulturelle Beziehungen zwischen Deutschen, Polen und Tschechen. Münster 2001.

Schultz, Helga: Grenze der Hoffnung: Geschichte und Perspektiven der Grenzregion an der Oder. Berlin 1999.

Steeger-Strobel, Christine: Die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen seit 1990. Literaturauswahl. Stuttgart 2000.

Strobel, Waldemar Georg: Deutschland – Polen. Bonn 1971.

Timmermann-Levanas, Andreas: Die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen 1970 bis 1991: vom Warschauer Vertrag bis zum Freundschaftsvertrag. Saarbrücken 1992.

Tomala, Mieczyslaw: Deutschland – von Polen gesehen: zu den deutsch-polnischen Beziehungen 1945-1990. Marburg 2000.

Zerko, Stanislaw: Stosunki polsko-niemieckie: 1938-1939. Poznan 1998.

Zernack, Klaus: Preußen – Deutschland – Polen: Aufsätze zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen. Berlin 2001.

Związki niemiecko-polskie w dziedzinie kultury, literatury i języka. Warszawa 1998.



  

17.11.2011

Homosexualität

Homosexualität



Homosexualität  (Teilbeitrag Russland und Sowjetunion)

In: Wieser Enzyklopädie des Europäischen Ostens. Klagenfurt 2004 (externer Link Onlineartikel)


1 Forschungsstand

H. wird in Russland erst seit der Perestroika wieder öffentlich thematisiert und wissenschaftlich erforscht. Damit vollzieht sich in Russland eine im Unterschied zu Westeuropa und den USA verspätete Rezeption und Wirkung im gesamtgesellschaftlichen Kontext. In den westlichen Ländern werden seit einigen Jahren die thematisch-methodologischen Voraussetzungen zur Erforschung des Phänomens innerhalb seines kulturgeschichtlichen Kontextes geschaffen. Federführend ist dabei die sich inzwischen aus der Genderforschung herauslösende ›Queer Theory‹. Entscheidend für die Erkundung des Phänomens H. in Russland ist das Verhältnis von Zentrum und Peripherie. Die oder der Homosexuelle verließen im allgemeinen die Peripherie (das Dorf) und zogen ins Zentrum (liberale Großstädte, wie Moskau und Petersburg), ausschließlich hier bildeten sich homosexuelle Kreise heraus. Im kulturellen Bewusstsein Russlands halten sich auch bis heute stereotype Vorstellungen vom großstädtischen Zentrum als Ort der Unmoral einerseits, vom Dorf als Ort der Natürlichkeit und moralischen Normentsprechung andererseits. Die Sowjetrepubliken blieben im wesentlichen Orte der Peripherie. Nach der Perestroika wurde die homosexuelle Emanzipation hier stark überlagert von der nationalen Emanzipation. Eine Aufarbeitung des homosexuellen Untergrunds zu Sowjetzeiten ist kaum vollzogen. Eine weitere Besonderheit der Diskussion über H. in Russland ist, dass diese v. a. in der Literatur geführt wird und daneben sich allenfalls noch in juristischen Texten wiederspiegelt. Die soziologische Forschung zur H. steht weitgehend noch in den Anfängen, entziehen sich hier doch die „Untersuchungsobjekte“ aufgrund jahrelanger Verfolgung häufig dem wissenschaftlichen Zugriff.

2 Rechtslage

Im Mittelalter gaben in Russland biblische Vorgaben, v. a. der Bericht von Sodom und Gomorrha (Gen. 19) die Rechtsgrundlage für die Bewertung der H. Männliche H. galt als verwerflicher als weibliche. Als besonders abartig galt die Einnahme der passiven Position durch den Mann. Als Sühne wurde v. a. Fasten und Geißelung empfohlen. Direkte strafrechtliche Sanktionen waren bis zur Regierungszeit Ivan IV. Groznyjs (1547-84) nicht vorgesehen.

Nach dem noch bis zu Beginn des 20. Jh. gültigen zaristischen Strafgesetzbuch (§ 995) war homosexueller Verkehr zwischen Männern mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren zu ahnden. Das nachrevolutionäre Sowjetrussland verhielt sich zur H. zunächst relativ liberal. Zwischen 1917 und 1933 gab es keinerlei Strafverfolgung für freiwilligen homosexuellen Verkehr zwischen Männern. Die Sowjetunion nahm damit zu dieser Zeit sogar eine Vorreiterrolle gegenüber Westeuropa ein. Russische Wissenschaftler plädierten auf internationalen Kongressen für eine Liberalisierung des Strafrechts. Sie forderten die homosexuelle als Teil der Befreiung von jeder Form der Unterdrückung. Ab den 30er Jahren aber wurden wieder traditionelle Familienbeziehungen und Geschlechterrollen propagiert. Paragraph 121 regelte die erneute Strafverfolgung männlicher H. Lesbischsein galt dagegen in einer Gesellschaft, die die Verweigerung von Mutterschaft nicht tolerierte, v. a. als geistige Störung.

Mit Beginn der 90er Jahre des 20. Jh. wurde die Gesetzgebung nach und nach gelockert. Gleichgeschlechtlicher Verkehr unter erwachsenen Männern steht seit 1993 nicht mehr unter Strafe.

3 Organisationsformen

Homosexuelle Gruppenbildungen sind in Russland ab dem 19. Jh. bekannt. So bestand etwa in St. Petersburg ein homosexueller Kreis um den holländischen Botschafter Jacob T. van Heeckeren. Auch offizielle Vertreter des Geistes- und politischen Lebens Russlands verkehrten in homosexuellen Zirkeln, wie der Bildungsminister Sergej S. Uvarov und der Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften Prinz Michail Dondukov-Korsakov einerseits, der Maler Aleksandr A. Ivanov, der Komponist Tschaikowsky (Pëtr I. Čajkovskij), der Schriftsteller Vladimir P. Meščerskij und Dichter Aleksej N. Apuchtin andererseits.

Die Wirkung dieser Zirkel war, beschränkt auf einen engen Kreis, relativ gering. Dies änderte sich zu Beginn des 20. Jh., als in Russland in kurzer Zeit zahlreiche literarische Salons, Gruppen und Zirkel entstanden, die mit kulturphilosophischen Konzepten, in denen sie sich u. a. mit H. auseinandersetzten, auftraten (vgl. IV). Besonders bekannt geworden sind hier die sog. Hafiz-Abende im „Turm“ des Symbolisten Vjačeslav I. Ivanov, an denen u. a. der Schriftsteller Michail A. Kuzmin, der Maler Konstantin A. Somov, der Übersetzer Johannes von Guenther und der Dichter Sergej M. Gorodeckij teilnahmen.

Ab den 30er Jahren waren homosexuelle Gruppenbildungen nur in der Subkultur möglich, deren Verzweigungen noch kaum erforscht sind. Nach der Perestroika kam es zur Bildung einer kaum überschaubaren Zahl von Organisationen.

Die homosexuelle Emanzipation in Russland unterscheidet sich deutlich von der in der westlichen Welt. So sind in der russischen Frauen- und lesbischen Emanzipationsbewegung spezielle feministische Fragestellungen nicht präsent. Lesbische Frauen in Russland bezeichnen sich selbst vorwiegend als transsexuell, gleichzeitig haben Untersuchungen gezeigt, daß diese Frauen kaum einen Geschlechtswechsel anstreben bzw. sich als Mann fühlen. Diese Disparitäten der Definitionen beruhen auch auf den in Russland sehr stark verbreiteten Vorstellungen vom effeminierten Schwulen und der maskulinen Lesbe. Die homosexuelle Emanzipationsbewegung in Russland kennzeichnet weiterhin ein großer Gegensatz zwischen konformistischen und nonkonformistischen homosexuellen Organisationen.

4 Philosophische Theorien

Das Fin de siècle v. a. eröffnete die philosophische Diskussion um Geschlechterfragen in der gebildeten Öffentlichkeit. Vorstellungen eines zu gleichen Teilen männlichen und weiblichen Wesens Mensch charakterisieren den russischen Symbolismus und hier v. a. die Theorien Vladimir S. Solovʹëvs und Dmitrij S. Merežkovskijs. Um Toleranz kreist Vasilij V. Rozanovs „Menschen des Mondlichts“ (russ. Ljudi lunnogo sveta, 1911), der hier die H. gleichzeitig mit dem Attribut der Göttlichkeit versieht.

Zur Überwindung der Geschlechtergrenzen wurden auch neue Familienformen diskutiert. So experimentierten etwa die Eheleute Vjačeslav Ivanov und Lidija D. Zinovʹeva-Annibal mit einer Lebensgemeinschaft zu Dritt.

5 Literatur

Am prononciertesten wurde und wird H. in Russland in der Literatur thematisiert. Die Literaturwissenschaft, beispielsweise hat sich der Erforschung der H. zuerst angenommen. So spekulierte der Slawist Simon Karlinsky über eine H. Nikolaj V. Gogolʹs und deren mögliche Auswirkung auf sein Werk. Der Schriftstellerin Nadežda A. Durova, die, so die Überlieferung, in Männerkleidern in die napoleonischen Kriege zog, schreibt man eine lesbische Identität zu.

Russlands erster Homosexuellenroman stammt von M. Kuzmin. In „Flügel“ (russ. Krylʹja, 1905) wollte er H. als „einen Aspekt der nationalen Kultur Russlands und der sexuellen Spezifik der 'Russen' gestalten“ (Sergl 1998, 106). Zinovʹeva-Annibals „Dreiunddreißig Ungeheuer“ (russ. Tridcatʹ tri uroda) von 1906 gilt als Manifest lesbischer Liebe. Weibliche H. wurde ebenso von Ljudmila Vilʹkina (Minskaja) und den Dichterinnen Sofija J. Parnok und Marina I. Cvetaeva (Lettre à l'Amazone, 1932/34) thematisiert.

Dichterische Bearbeitungen homosexueller Beziehungen sind v. a. aus dem Bereich der „Lagersexualität“ bekannt und wurden meist anonym verfasst. Als bekanntester homosexueller Autor der Nachkriegszeit gilt Evgenij V. Charitonov. Neuere Texte stammen von Dmitrij A. Prigov, Ljudmila Voroncova, Olʹga Krauze, Aleksander Šatalov, Konstantin Plechanov, Timur Novikov, Nikolaj Koljada und Ėduard V. Limonov.

Essig L. 1999: Queer in Russia: A Study of Sex, Self, and the Other. Durham. Karlinsky S. 1976: The Sexual Labyrinth of Nikolai Gogol. Cambridge. Levin E. 1989: Sex and Society in the World of the Orthodox Slaves, 900–1700. Ithaca. Seidel-Dreffke B. 1998: Homosexualität bei Wasili W. Rosanow. Ein tabuisiertes Kapitel russischer Kulturgeschichte. Forum Homosexualität und Literatur 32, 21–32. Sergl A. 1998: Homosexualität und ästhetische Wertbildung bei M. A. Kuzmin. Zeitschrift für Slavische Philologie 57/1, 105–132.

(Björn Seidel-Dreffke)




  

15.11.2011

Jugend als unerreichbares Begehren

Jugend als unerreichbares Begehren



Jugend als unerreichbares Begehren. Überlegungen zu den Texten Ewgeni W. Charitonows.

In: Popp, Wolfgang, Linck, Dirck (Hrsg.): Forum Homosexualität und Literatur 42 (2003), Siegen 2003, S. 53 - 67.


Jugend als unerreichbares Begehren. Überlegungen zu den Texten Evgenij V. Charitonovs.

In: Johannsmeyer, Karl-Dieter, Lehmann-Carli, Gabriela, Preuß, Hilmar (Hrsg.): Empathie im Umgang mit Tabu(bruch). Kommunikative und narrative Strategien (= Lebedewa, Jekatherina; Lehmann-Carli, Gabriela (Hrsg.): Ost-West-Express. Kultur und Übersetzung. Band 19) Frank & Timme, Berlin 2014, S. 321 - 335.


Ewgeni W. Charitonow (1941-1981) gehört zu den facettenreichsten Figuren des sowjetischen „Undergrounds“. Bekannt war er als Theaterregisseur und als Schriftsteller. Dabei war sein Leben als Regisseur ein offizielles, von den Mächtigen geduldetes, das zweite aber für ihn weitaus Wichtigere, als Autor, mußte im Verborgenen bleiben. An dieser Stelle seien zuerst einige Hinweise zu Charitonows „offiziellem“ Leben gegeben.
Charitonow beendete im Jahre 1964 die Moskauer Filmhochschule (WGIK). Aufgrund herausragender Leistungen hatte er die Möglichkeit, an der Hochschule zu verbleiben, wo er in den Jahren 1967-1969 den Kurs für „Schauspielkunst und Pantomime“ leitete.
Im Jahre 1972 promovierte er mit einer Dissertation zum Thema: „Die Bedeutung der Pantomime für die Ausbildung des Filmschauspielers“. Der Durchbruch als Regisseur gelang ihm schließlich mit einem selbst geschriebenen Stück für taubstumme Schauspieler „Otscharovanny ostrow“ („Die verzauberte Insel“), das zwischen 1972 und 1980 in Moskau ständig auf dem Spielplan stand und einen großen Publikumserfolg hatte.
Charitonow unterrichtete auch an der Moskauer Universität, am Lehrstuhl für Psychologie, wo er sich mit der Korrektur sprachlicher Defekte auseinandersetzte. In einem Moskauer Kulturhaus leitete er eine Klasse für nichttraditionelle Schauspielkunst. Daraus ging die populäre Gruppe „Posledni schans“ („Die letzte Chance“) hervor, die eine besondere Art des Musiktheaters inszenierte.
Aber nach Charitonows eigenen Aussagen war für ihn seine Tätigkeit als Schriftsteller weitaus wichtiger. Dabei gehörte er allerdings zu denjenigen Autoren, die in offiziellen sowjetischen Journalen fast keine Möglichkeit hatten, ihre Texte zu veröffentlichen. [1]

Ein Hauptgrund für den Umgang mit dem schreibenden Charitonow liegt zweifellos in der Besonderheit seiner Texte, die tabulos die homosexuelle Liebe thematisieren.
Es sah über Jahre so aus, als habe sich Charitonow mit seinem schriftstellerischen „Nischendasein“ abgefunden. Kurz vor seinem Tode aber, im Jahre 1980, hatte sich eine Gruppe junger Literaten gebildet (neben Charitonow gehörten ihr an: F. Berman, N. Klimontowitsch, E. Koslowski, W. Kormer, E. Popow, D. Prigow), die beschlossen hatten, das literarische Almanach „Katalog“ herauszugeben. Es sollte der jungen experimentellen Prosa endlich den Weg zum Leser eröffnen. Da aber Thematik und Schreibweise der sowjetischen Ideologie entgegenstanden, und man wahrscheinlich vorhatte, das Almanach auch im westlichen Ausland zu publizieren, endete der Versuch tragisch. [2]
Einige Mitglieder der Gruppe wurden verhaftet. [3] Es fanden Hausdurchsuchungen statt. Auch Charitonow wurde vom KGB verhört, wobei er mehrmals in Ohnmacht fiel. Dies zerrüttete wahrscheinlich seine Gesundheit und war sicher auch ein Grund für seinen frühen Tod.

Nach der Perestrojka wurden Charitonows Texte auch in der russischen offiziellen Presse veröffentlicht. [4] Seine tabulose Thematisierung der homosexuellen Liebe aber verhinderte es, daß er ähnlich wie andere „nichtoffizielle“ Literaten sofort zur verdienten Popularität gelangte. Auch erst in den letzten Jahren wird sein Schaffen Gegenstand literaturkritischer Bestandsaufnahme. [5]

Meine Analysen beziehen sich auf die 1993 erstmals publizierte Textsammlung E. Charitonows „Slesy na zwetach“ [6], die 1996 in einer deutschen Übersetzung von Gabriele Leupold unter dem Titel „Unter Hausarrest. Ein Kopfkissenbuch“ [7] erschien. Sie vereint eine Reihe von Erzählungen [8], die zwischen 1968 und 1980 entstanden [9] und einen „Roman“, obwohl auch hier diese Bezeichnung eher als Zeichen, denn als reale Genrebestimmung zu sehen ist.
Charitonow hat diese Sammlung seiner Texte kurz vor seinem Tode selbst zusammengestellt.
Ich betrachte das so entstandene Buch als ein geschlossenes Opus, das aus einem Zyklus von Erzählungen besteht, deren Anordnung vom Autor bewußt in dieser Reihenfolge vorgenommen wurde. Die einzelnen Texte sind stilistisch und thematisch miteinander verbunden, so daß man den Eindruck gewinnt, es handele sich um einen zusammenhängenden Text über das Leben eines alternden Schwulen im Rußland der „Stagnationsperiode“ (zu Zeiten des „Kalten Krieges“), der in Anlehnung an die Form der Darstellung des „Bewußtseinsstroms“ gestaltet wurde.
Dabei ist Charitonows Textpräsentation äußerst eigenwillig. Manchmal sind Worte und Sätze in einzelne Absätze zerhackt, bedecken auch schon mal als Schlangenlinie das Papier, es finden sich bewußt hervorgehobene Korrekturen und Tippfehler. Charitonow selbst schrieb über seine Textgestaltung:
‘Kein Setzer wird alle Entstellungen, Unterstreichungen, Lücken, Tippfehler genau nachmachen, er wird nur seine eigenen hinzufügen, ...’ [10]
Sehr treffend beschreibt G. Witte diese eindrucksvolle Textgestaltung Charitonows:
Auf der einen Seite pflegt er avantgardistische oder neoavantgardistische Schreibverfahren (Gattungszwitter zwischen Dokumentation und Fiktion, Essay und Erzählung; extreme Sujet- und Perspektivbrüche; stilistische Vulgarismen; in der Poesie metrische Collagen und freie Verse, stellenweise auch typographische und visuell-poetische Verfahren in der Nachbarschaft von konkreter Literatur und Konzeptualismus). [11]
Charitonows Textsammlung vereint verschiedene Themen - Schwierigkeiten des sowjetischen Lebens: Bürokratie, Hausdurchsuchungen, Bedrohung durch die Staatsmacht. Hauptschwerpunkt aber bildet die Darstellung homosexueller Erlebnisse und Sehnsüchte des erzählenden Ich: das Verlangen eines älteren (zwischen 30 und 40 Jahre alten) [12] Schwulen nach einem viel jüngeren Partner, der zwischen 15 und 18 Jahre alt ist. [13] Dabei aber wird eine unüberwindliche Kluft zwischen erzählendem Ich und dem Objekt der Begierde aufgetan, die nicht zu überwinden ist. Immer wieder betont der Ich-Erzähler, daß er zu alt sei, seine Verlassenheit und Einsamkeit:
Man kann mich nicht lieben. Man kann keine alten Knochen begehren. [14]
Jugend wird mit Schönheit und Vitalität gleichgesetzt, Alter mit Häßlichkeit und Unbeweglichkeit.
Das erzählende Ich entwickelt in den einzelnen Texten unterschiedliche Strategien, um die Kluft zwischen sich und dem jeweiligen Objekt seiner Begierde, dem jugendlichen schönen Jungen, zu überwinden.
Eine Möglichkeit bietet hier der voyeristische Blick des „beobachteten Erzählers“ [15], so in der Erzählung „Ein lebenstüchtiger Kleiner“. Es wird beschrieben, wie ein Arzt die Untersuchung an einem Rekruten vornimmt, bis in die Einzelheiten hinein naturalistisch und deutlich:
Und nackt taugen sie alle, häßliche Gesichter nicht gerechnet, es zählt nur das Relief. Steißbeine, paarige Wölbungen. Sie knöpfen sich auf und gegenseitig, welcher ist größer. Aber keiner mit keinem irgendetwas, auch wenn sie spielen, einander berühren. N., treten Sie hierher. Drehen Sie sich um. Er dreht sich, denkt das muß so sein. Bücken Sie sich. Er bückt sich. Was sein muß muß sein, er hat Vertrauen zu Amtspersonen. Ziehen Sie das Präputium zurück. Was? Na hier das. Und mache es selbst. Natürlich ruhig, sonst schöpfen die Kollegen Verdacht. [16]
Doch der Blick, das bloße Schauen kann die Barriere zum begehrten Objekt nicht wirklich überwinden.
Das erzählende Ich versucht es mit Anweisungen, versucht Regelkataloge für sich und die imaginären Rezipienten aufzustellen, wie man es bewerkstelligen könnte, sich die Jugend gefügig zu machen:
Gebote für den Umgang mit jungen Leuten:
Soll er Ihnen nach dem ersten Mal ruhig drei Tage aus dem Weg gehen. Dann, wenn er sich betrinkt, stürzt er wieder zu Ihnen (nur von selbst) und sagt ich hatte Sehnsucht nach dir; dann soll er ruhig wieder verschwinden, und beim dritten Mal kommt er und sagt endlich ich liebe dich ich kann ohne dich nicht leben. Und jetzt gehört er Ihnen; warten Sie auf das dritte Mal. [17]
Die Sehnsucht nach einem Jungen kulminiert manchmal sogar in gebetsartige Beschwörungen:
Gott! Mach daß ein Junge wie ich ihn mir träume sich mir zuneigt und mir ergeben ist wie ein Hund. [18]
Doch auch so läßt sich die Kluft zwischen Jugend und Alter nicht überwinden. Die Sehnsucht bleibt ungestillt.

In späteren (im Textband weiter hinten angeordneten Erzählungen) bedient sich das erzählende Ich noch weiterer Strategien, um aus seinem Dilemma herauszufinden.
In „Die Geschichte eines Jungen ‘Wie ich so geworden bin’“ schildert der Ich-Erzähler aus der Perspektive eines 14-16jährigen Jungen sein Coming-out, beschreibt, wie ihn ein um viele Jahre älterer, aber berühmter Maler förderte, und er diesem dafür gefügig war. Die Erzählperspektive wechselt am Ende der Erzählung, und der Ich-Erzähler schlüpft in die Rolle eines weiteren Jungen, der mit dem ersten Erzähler bekannt war und über diesen auch besagten Maler kennenlernt. Die zweifach jugendliche Perspektive aber verschärft nur den Konflikt zwischen Jung und Alt. Die beiden jungen Erzähler bleiben unter sich, finden schließlich zueinander, der Maler bleibt ausgeschlossen.
Die Bemühungen des Ich-Erzählers um eine Identifikation mit der Jugend gehen schließlich soweit, daß mehr und mehr eigene Jugenderinnerungen in den Text eingeflochten werden. Das erzählende Ich schreibt in einer beinahe infantil wirkenden Kindersprache imaginäre Briefe an „papotschka“ und „mamotschka“, erinnert sich daran, wie ihn die Großmutter badete, betrachtet seine eigenen Jugendfotos und erprobt eine neue Strategie zur Überwindung des existentiellen Unterschieds zwischen Jung und Alt. Er sucht Jugend nun in der Umkehr der eigenen Lebensperspektive, sucht Jugend in der Erinnerung an sich selbst als jungen Mann:
Und wenn ich meine Jugendphotos anschaue und einen durchaus nicht häßlichen Jungen sehe und weiß daß dieser Junge niemals wirklichen Erfolg in der Liebe hatte, tut er mir mehr leid als irgendjemand sonst.
Ich legte ihm vorsichtig eine Hand auf, fürchtete er schüttelt sie ab.
Und er schüttelte sie ab.
Aber ein Junge wie ich sie liebe.
Ein weißlicher, genauer, gräulicher. [19]
Die Projektion von Jugend ins eigene erinnernde Ich scheint für einen kurzen Moment eine vage Erfüllung zu bringen:
Ich hörte wie die Tür aufging und ich eintrat. Ich ging auf mich zu, wir umarmten uns mit trockenen vorsichtigen Körpern, angstvoll, zu hitzig zu sein und uns aufeinander zu stürzen, so vertraute Leute, die voneinander alles wissen, ein wirkliches Liebespaar. Wir hatten eine gemeinsame Kindheit. [20]
Der Nachsatz aber demonstriert die Unerfüllbarkeit auch dieser Beziehung:
Nur können wir keine Kinder haben. [21]
Die angestrebte Schließung des Lebenskreislaufs, die Rückkehr zur Kindheit ist eine Sackgasse, sie ist nicht reproduzierbar.
Schließlich aber kommt das erzählende Ich zu einer entscheidenden Einsicht. Bisher wurde Jugend ausschließlich idealisiert, mit Stärke und Schönheit gleichgesetzt. Nun aber gelangt der Ich-Erzähler zur Erkenntnis der Priorität des Inneren über das Äußere: nicht die äußeren Attribute der Jugend zählen mehr, sondern tatsächlich relevant erscheint ihm nun seelische, geistige Jugend:
Wenn sie auch jung sind mit rosigen Wangen, man sieht, sie haben die Seele von Klötzen, und ich, obwohl ich unter ihnen gelebt habe und verknöchert bin, die Seele eines zarten Knaben, furchtsam, zitternd, nur unsichtbar im Schutz der finsteren Augen in ihren Höhlen, sie aber - sie wirken jung und zerbrechlich und leicht, aber innen die reinsten Klötze. [22]
In zahlreichen klassischen Texten hätte eine solch einschneidende Erkenntnis zweifellos eine entscheidende Wandlung des erzählenden Ichs mit sich gebracht, hätte wahrscheinlich zu Weisheit, Abgeklärtheit und Über-den-Dingen-Stehen geführt, wäre dazu angetan gewesen, nun neue Perspektiven, eine neue Dimension des Seins zu erschließen.

Nicht so bei Charitonow.

Wir finden in den folgenden Texten zwar nun nur noch äußerst selten die Thematisierung des sehnsuchtsvollen Begehrens nach einem jugendlichen Partner. Aber das erzählende Ich zieht sich nun völlig auf sich selbst zurück, Alter und Tod rücken in den Mittelpunkt des Betrachters.
In der Erzählung „Im kühlen, höheren Sinne“ äußert sich der Ich-Erzähler folgendermaßen.:
Im Alter,
im Alter werde ich unartikuliert sprechen, Fett ansetzen, die Beine werden halb krumm sein, schwer zu beugen, die Stimme eine Greisenstimme, die Gewohnheiten Greisengewohnheiten, ein schrecklicher Geiz wird sich entwickeln, und überhaupt besser nicht daran denken ...
Ach, wie schrecklich ich bin. Wo soll ich noch hinfahren.
Nur um dort den gleichen Schrecken vorzufinden.
Wo ist mein Sarg! Gebt mir meinen Sarg! [23]
Der Titel der Erzählung „Im kühlen, höheren Sinne“ suggeriert eigentlich die Möglichkeit des Erreichens einer anderen Dimension, nach Erlangen der sehr persönlichen Erkenntnis über das Verhältnis von Jugend und Alter. Doch für das erzählende Ich bedeutet diese Erkenntnis einen Verlust an Vitalität, der Lebenstonus sinkt. Die Einsicht, daß sein lebenslanges Streben auf eine Illusion gerichtet war, führt nicht zu einer freudvollen, abgeklärten Vision eines Neuanfangs, sondern zu Todessehnsucht, Trauer und Ekel.
Die Texte Charitonows bewegen sich im Spannungsfeld von Jugend (eigentlich deren äußerem Ende: Kindheit) und Alter (auch dessen äußerem Ende: Tod). Eine Mitte existiert im gesamten Text eigentlich nicht: kein mittleres Alter (auch mit 28 ist man unter dem Blickwinkel des Erzählers schon alt, erst recht mit 40), keine emotionale Mitte. Die Spannung scheint unüberbrückbar.

Einen Weg aber weisen die Texte Charitonows, wie diese Spannung zu überbrücken sei - nämlich in der Sprache. Was dem erzählenden Ich im wirklichen Leben nicht gelingt, läßt sich zum Teil wenigstens in der Sprache realisieren: die Annäherung eines älteren Mannes an einen deutlich jüngeren.

Ein Text, der die Hauptsehnsucht des Ich-Erzählers besonders prononciert zum Ausdruck bringt, ist „Duchowka“ („Die Röhre“). Was in späteren Texten oft nur schemenhaft und verschwommen artikuliert wird, was man teilweise aus Wortfetzen nur schwach erahnen kann, wird in dieser, beinahe klassisch anmutenden Erzählung mit aller Deutlichkeit ausgesprochen.
Diese Art der Ausarbeitung einer bestimmten Thematik mit dieser Konzentration und Geschlossenheit finden wir bei Charitonow später nicht mehr vor.

Der Ich-Erzähler ist von Moskau aufs Dorf in seine Datscha gefahren. Dort sieht er auf der Straße zufällig den 16jährigen Mischa, der ihn sofort beeindruckt, und er beschließt, sich mit diesem bekannt zu machen, ihn für sich zum Freund zu gewinnen, was sich als nicht einfach erweist.
Das Problematische wird dabei nicht so sehr als ein Konflikt zwischen einem Schwulen und einem Jungen, der eventuell heterosexuell sein könnte, beschrieben, sondern wird als ein Konflikt dargestellt, der sich im Altersunterschied manifestiert. Dabei betont der Ich-Erzähler von Anfang an die für ihn kaum überbrückbar erscheinende Kluft zwischen Jugend und Alter. Mischa ist 16 Jahr alt und der Ich-Erzähler 12 Jahre älter. [24]
Dabei erscheinen uns als Rezipienten 28 Jahre noch kein „Alter“ zu sein. Sie sind es aber aus der Perspektive des Erzählers, der Jugend als ein von ihm derartig weit entferntes und kaum erreichbares Ideal sieht, daß ihm das eigene Alter dagegen beinahe „biblisch“ erschient.
Mischa wird nur als „schön“ charakterisiert. Es erfolgt weder eine Beschreibung von Haarfarbe, Augen, Statur, wie überhaupt auf jegliche genauere Fixierung seiner Körperlichkeit verzichtet wird. Jugend wird mit Schönheit gleichgesetzt, ist Schönheit schlechthin und bedarf keiner näheren Konkretisierung. Alter aber bedeutet auch hier automatisch Häßlichsein. So erscheint es auf den ersten Blick, als ob die Beziehung beider von Anfang an zum scheitern verurteilt wäre.
Aber der Ich-Erzähler findet ein Medium, in welchem die Annäherung möglich wird - die Sprache. Es wird ein sprachlicher Raum geschaffen, in welchem die maximale Begegnung zwischen Jung und Alt möglich zu sein scheint.
Bereits den Beginn der Bekanntschaft beider Protagonisten markiert das Wort. Der Ich-Erzähler bittet Mischa um Streichhölzer. Mischa reicht sie ihm vorerst schweigend. Zunächst besteht eine Dissonanz zwischen sprechendem Erzähler und dem schweigendem Jungen:
Ich habe nach Streichhölzern gefragt, er hat nicht geantwortet, kam auf mich zu, ich begriff noch nicht, was kommt er und antwortet nicht, oder sind das Straßenmanieren. [25]
Doch nachdem er von Mischa Streichhölzer erhielt, dieser seinerseits nach Zigaretten fragt, startet der Erzähler, der bereits resignieren wollte, einen verbalen Vorstoß. Er bittet Mischa, der eine Gitarre dabei hat, auf dieser zu spielen. Dieser kommt der Aufforderung prompt nach. Das gesungene Wort wird zu einer ersten Verbindung zwischen beiden Protagonisten. Allerdings wird auch hier vorerst wieder eine sprachliche Ungleichheit evident. Der Junge singt und der andere hört zu. Aber diese Dissonanz wird schließlich überwunden, als beide einem dritten Jungen, dem Ukrainer Tolja und dessen Gitarrenspiel lauschen:
... und Mischa und ich haben Tolja zugehört und gelacht, schon vereint in der Aufmerksamkeit für sein Singen; ... [26]
Der Erzähler will die Distanz zum Begehrten noch weiter verringern: er bittet diesen darum, ihm das Gitarrenspiel beizubringen. Dieser willigt ein und bringt sogar Textbücher mit Liedern mit. Das gesungene Wort schafft eine erste Brücke zwischen den Protagonisten.
Zu einem weiteren wichtigen Verbindungsglied zwischen beiden wird auch das geschriebene Wort. Mischa will Chemie studieren, zeigt dem Ich-Erzähler seine Bücher, versucht, ihn dafür zu interessieren. Der Erzähler läßt sich darauf ein.
Der Kontakt soll nun aber endlich auch über das direkt gesprochene Wort intensiviert werden. Dazu aber bedarf es zunächst noch eines Vermittlers. Da der Erzähler befürchtet, seine eigenen Geschichten könnten Mischa langweilen, zieht er einen ihn gerade besuchenden Freund bei einem Treffen hinzu, um über diesen Mischa für sich zu interessieren:
Für Mischa allein kriege ich keine Stimmung und kein anregendes Gespräch zustande, aber über Wanja hört auch Mischa zu, lacht und läßt sich reinziehen, erwärmt sich ein wenig für mich. [27]
Aber schließlich kommt auch zunehmend ein direkter sprachlicher Kontakt zwischen Erzähler und Mischa zustande. Die Dialogizität des Textes erhöht sich.
Symptomatisch dabei ist, daß Charitonow in den meisten Fällen auf eine klare, traditionelle Kennzeichnung des Dialogs mit einleitenden und abschließenden Zeichen verzichtet. Oft erfolgt eine Art Vermischung des Monologs des Erzählers mit seinem und dem Dialog des anderen:
Ein richtiges Familienkind, er hat auch, als er ablehnte, gesagt, ich habe kein Glas, aber macht nichts, wir können aus demselben, vielleicht hat er nicht mal gemerkt, daß das sonderbar ist. [28]
Allerdings erfolgt vorerst vor allem eine sprachliche Unterordnung des Erzählers unter den Jungen. Die Jugend spricht einen anderen Jargon, der ihm, dem Älteren nicht immer verständlich ist. Er muß versuchen, diesen zu erkennen oder zu schweigen:
Sie haben ihren Jargon: brauchbar ist gut, meine Frau ist ein Mädchen, mit dem sie geschlafen haben, ein Fell ein Jackett; ich darf nicht der Verlockung nachgeben, Mischa um die Schultern zu nehmen und mit dem sanften Lächeln des Älteren zu fragen, was meine Frau heißt oder durchziehen - sofort bin ich ein Mensch aus einer anderen Gesellschaft, ... [29]
Die Sprache des Jüngeren dominiert über weite Teile des Textes den sprachlichen Raum. Sprachdominanz bedeutet auch Macht. Der Ältere kopiert oft passiv die jugendlichen Ausdrücke.
Der Erzähler wird vor allem in der zweiten Hälfte des Textes immer redundanter. Er versucht nun auch selbst, in einem gewissen Rahmen aktiv zu werden. So will er dem Jungen Alkohol geben (obwohl er selbst nicht gern trinkt), um die Zungen zu lösen und die Kommunikation zu erleichtern. Die unklare Artikulation nach Alkoholgenuß würde wohl auch dazu beitragen, die sprachlichen Unterschiede zu verwischen. Der Erzähler erzählt Mischa auch seinerseits Geschichten (z. B.: von einem Mord, die er allerdings wieder von anderen Jugendlichen gehört hat. Die jugendliche Dominanz des sprachlichen Raumes bleibt vorerst.
Auf jeden Fall aber wird der sprachliche Raum zu einer Möglichkeit einer immer intensiveren Annäherung an den Jungen. Diese Annäherung verläßt allerdings den sprachlichen Rahmen nicht. Es gibt keinerlei Beschreibungen etwaiger körperlicher Annäherungsversuche, keine zärtlichen Berührungen, Gesten u. ä. Auch die Körperlichkeit Mischas bleibt weiterhin außerhalb des Rahmens sprachlicher Fixierung.
Der Höhepunkt des Aufeinanderzubewegens beider Protagonisten vollzieht sich schließlich in dem Moment, da nun Mischa seinerseits die Worte des Ich-Erzählers in sein eigenes sprachliches Repertoire übernimmt:
... als ich über den Jungen sagte, der gesungen hatte, daß er niemand gleicht, später redete Mischa in meinen Worten von ihm. [30]
Dieser Satz markiert den Höhepunkt des Textes und wird nicht zufällig etwa in der Mitte der Erzählung fixiert. Beide Partner sind damit gleichberechtigt. Der Erzähler muß sich nicht mehr einseitig um die Sprache des Jüngeren bemühen, dieser übernimmt freiwillig seine Worte, macht einen Schritt auf ihn zu. Ein sprachlicher Austausch ist entstanden, man könnte auch sagen: im sprachlichen Raum hat sich die vom Älteren gewünschte Vereinigung mit dem Jüngeren vollzogen.
Doch das Dilemma des Ich-Erzählers besteht darin, daß er nicht im sprachlichen Raum verbleiben, sondern dessen Grenzen überschreiten will. Er versucht, eine Annäherung an Mischa auch im realen Raum herzustellen und scheitert damit. Der reale Raum trennt, was der sprachliche Raum zu vereinen scheint. Dem Bemühen, die erreichte Annäherung im sprachlichen Raum auch in den realen Raum zu überführen, ist kein Erfolg beschieden.

Dazu einige Beispiele.

Beide Protagonisten begeben sich zum See, um zu baden. Wasser hat hier großen symbolischen Wert, als ein Element, das in der Lage ist, Dinge miteinander zu verbinden.
Mischa will zum wiederholten Mal zur Insel schwimmen. Der Erzähler schafft es nur einmal, ist danach ausgepumpt. Ein anderes Mal hat der Erzähler eigentlich keine rechte Lust, überhaupt ins Wasser zu gehen. Er ist nicht dazu in der Lage, den realen Raum Wasser mit Mischa zu teilen.

Eine ähnliche Situation zeigt sich auf den ebenfalls einen realen Raum markierenden Tanzabenden der Dorfjugend, an denen der Erzähler als einer der wenigen Älteren teilnimmt. [31]
Wenn er niemanden zum Reden hat, steht er meist abseits in der Pose des Zuschauers, fühlt sich deplaziert und einsam.

Einmal will er Mischa auf dessen Datscha besuchen. Dessen Großmutter verweigert ihm aber den Eintritt. Der Ich-Erzähler nimmt nun an, daß dies geschah, da er ein um so vieles älterer Bekannter von Mischa ist. Eine beinahe märchenhaft konnotierte Situation. Die Großmutter verteidigt eine Grenze - nämlich die zwischen sprachlichem und realem Raum.

Auch der Versuch des Erzählers, Mischa in den eigenen, heimatlichen Raum zu überführen, scheitert. Mischa will nur ganz kurz mit nach oben, denn der Treffpunkt der Jugend ist die Straße.

Die realen Räume werden von den Jugendlichen dominiert: diese können sich den Naturgewalten stellen (z. B. ausdauernd schwimmen), diese können miteinander fröhlich sein (auf den Tanzabenden).
Der reale Raum zerstört schließlich auch den gemeinsamen sprachlichen Raum zwischen Ich-Erzähler und Mischa. Das Wetter schlägt um. Mischas Familie reist ab. Die beiden Protagonisten werden räumlich getrennt.

Das Gespräch ließe sich nur noch über das Telefon aufrechterhalten, scheitert aber daran, daß die Mutter Mischas ihn einmal nicht mit diesem verbindet, was den Erzähler verschreckt. Zum anderen verpaßte er es, Mischa die eigene Telefonnummer zu geben, und bald findet er selbst keinen Vorwand mehr, der es rechtfertigen würde, den Jungen telefonisch anzusprechen.
Der reale Raum zerstört die sich im sprachlichen Raum anbahnende Beziehung, zerstört auch die Erinnerung, denn der Erzähler kann sich gar nicht mehr recht an Mischa erinnern, dessen Bild verschwimmt vor dem inneren Blick. Der Andere war für ihn nur im sprachlichen Raum nah und greifbar geworden. Der reale Raum hebt diesen auf und dominiert am Ende die Erzählung.

Schließlich begibt sich der Erzähler noch einmal zu Mischas Datscha. Diese ist nun völlig ausgeräumt, die Gardinen wurden von den Fenstern genommen. In einer der dunklen Fensterscheiben betrachtet er sein Spiegelbild. Er räsonniert:
Als Mischa und ich früher hier vorbeigingen, war da ein leeres Haus, ich schaute immer mein Spiegelbild an im Fenster, und wenn ich mit Mischa vorbeiging, blieb er auch stehen und schaute sich an, ich dachte, in einem so dunklen Spiegel sieht man die zwölf Jahre Unterschied nicht so. In einem so dunklen Spiegel sieht man die dreizehn Jahre Unterschied nicht so. [32]
Der Blick in den Spiegel reflektiert den Jetztzustand: 12 Jahre Unterschied und die Zukunftsperspektive: 13 Jahre Unterschied. Der Erzähler wird in seiner eigenen Vorstellung immer älter, der andere bleibt jung - dessen Alter verändert sich nicht.
Im Spiegel wird aber auch nochmals die Möglichkeit einer Vereinigung zwischen Erzähler und dem Objekt seines Begehrens evoziert. Der Spiegel fungiert auf diese Weise als imaginär-symbolischer Raum. Dieser imaginäre Raum schafft aber auch einen Gegensatz zum realen Raum, den er verzerrt darstellt.
Der Spiegel ist aber auch ein Vehikel der Selbsterkenntnis. Der Erzähler fixiert am Ende sprachlich den realen Altersunterschied, der ihn von Mischa trennt: 12 Jahre. Damit ist auch eine besondere Art von Einsicht verbunden, daß die Kluft zwischen ihm und dem Jungen, zwischen Jugend und Alter für ihn unüberwindlich ist. Aber wie bereits für den gesamten Textband festgestellt, führt die Erkenntnis auch hier nicht wirklich zu einer Betrachtung der Dinge aus einer „höheren“ Perspektive, sondern zu einer Todesvision:
Und jetzt, dachte ich, war dieses Häuschen ein Vorbote. Sie alle sind nur bis zum Herbst bewohnt, alle sterben der Reihe nach aus, und jetzt war Mischas Haus an der Reihe. [33]
Der imaginär-symbolische Raum hat keine Perspektive, ist nur ein dunkler Spiegel. Die Selbsterkenntnis zerstört die Illusion.

Zum Abschluß möchte ich noch kurz auf den Titel der Erzählung eingehen. Das russische „Duchowka“ wurde für den deutschen Text von G. Leupold mit „Röhre“ übersetzt, genauer wäre aber „Backröhre“. Der Titel verweist semantisch auf alle drei im Text gestalteten Räume.
Im Vordergrund steht der Bezug zum realen Raum. Die Vorstellung einer „Backröhre“ suggeriert Gemütlichkeit, Geborgensein, Heimat. Als der Erzähler sich an einem kalten Tag mit Mischa treffen will, überlegt er:
... zu Hause ist es nett, Piroggen brutzeln in der Röhre. [34]
Draußen sieht er Mischa, der in der Kälte sogar einen grauen Pullover trägt. Man spürt das Verlangen des Erzählers, Mischa in diesen heimeligen, heimatlichen realen Raum zu überführen, was für ihn leider nicht möglich ist. [35]
Die „Röhre“ steht aber auch für den sprachlich-geistigen Raum. Der russische Titel der Erzählung lautet ja „Duchowka“. „Duch“ bedeutet in der Übersetzung soviel wie „Geist“. Der Titel weist damit über den realen Raum hinaus in die geistige Sphäre, die sich in der Sprache artikuliert. Damit haben wir hier auch einen weiteren Hauptkonflikt des Erzählers im Titel komprimiert, den Widerspruch zwischen Leben und Denken, über den er auch in späteren Texten sinniert.
Die „Röhre“ verweist aber auch auf den imaginär-symbolischen Raum. In einer Backröhre können Dinge miteinander verschmolzen werden, die dabei ihr Aussehen verändern. Ähnlich dem dunklen Spiegel kann hier das Aussehen verschiedenartiger Materialien einander angeglichen werden. Verschmelzen bedeutet aber auch Zueinanderfinden, wobei die Hitze, die in der Röhre entwickelt wird, auch für das brennende Verlangen des Erzählers stehen kann.

Wie gezeigt werden konnte, ist die Sprache das einzige Medium, das eine Annäherung des Ich-Erzählers an das Objekt seines Begehrens möglich macht. In späteren Texten definiert sich der Ich-Erzähler häufig auch sehr deutlich vor allem über die Sprache:
Also. Glaube Rettung Buße Offenbarung; Sünde.
Keine SÜNDE. Man muß begreifen, hier schreibt
ein Mnsch, der im Wort lebt für den
der Wert des Lebens im Wort liegt - ...
Worin liegt die Bedeutung des Lebens eines (eben) solchen
Menschen? Die Bestimmung seines Lebens sieht er im
Kunstwerk (im sprachlichen). Und hier bestärkt ihn sogar
das Johannes-Ev. am Anfang war das Wort.
Und das Wort war Gott. Und so liegen sein Leben sein
Reichtum seine Erfolge auch im Wort, und in nichts
sonst. [36]
Mit dem „Wort“ hat denn wohl auch der Autor, der seinem Erzähler in so vielem ähnelt, einen Weg gefunden, sich mit den anderen der Welt zu vereinen, und damit vielleicht auch diejenigen zu erreichen, die Autor und Erzähler hatten ein Leben lang vergebens versucht, für sich zu gewinnen.

Dem Sarg Charitonows folgten schließlich mehrere hundert Trauergäste, darunter auch viele junge Leute.




Anmerkungen:
  1. Seine Arbeiten wurden vor allem im Samisdat („Selbstverlag“) und in russischen nichtoffiziellen Ausgaben publiziert: Vgl.: Duchowka. In: Tschasy, 20, 1979, Leningrad; Metschti i swuki (stichi). In: Tschasy, 29, 1981, Leningrad; Dzyn. In: Tschasy, 33, 1981, Leningrad; Slesy na zwetach. In: Tschasy, 58, 1986, Leningrad. - Teilweise wurden Texte Charitonows auch im Ausland publiziert. Vgl.: Schilez napisal zajawlenie; Pokupka spirografa. In: Neue Russische Literatur, 2-3, 1979-80, Salzburg; Schilez napisal zajawlenie, Odin takoj, drugoj, drugoj, Nepetschatnye pisateli. In: Katalog, 1982, Ann Arbor; Vilboa, Alescha Serescha, Schisnesposobny mladenez, Slesy na zwetach, Is pjesy. In: A-Ja, 1, 1985, Paris.
  2. Zu einigen Hintergründen, was Aktivitäten der Gruppe und das Verbot des Almanachs betrifft - vgl.: Nikolaj Klimontowitsch: Desjat let „Katalogu“: Itog. In: Ewgeni Charitonow: Slesy na zwetach. Kn. 2. Dopolnenia i priloschenia. Moskwa 1993, S. 116-121.
  3. Der „Katalog“ wurde schließlich 1982 im „Ardis-Verlag“ in den USA publiziert.
  4. Vgl.: Odin takoj, drugoj drugoj; V cholodnom vysschem smysle. In: Iskusstvo kino, 11, 1991, Moskwa; Duchowka. In: Westnik nowoj literatury, 3, 1991, St. Peterburg; Duchowka. In: Stoliza, 7, 1992, Moskwa; Predatelstwo-80. In: Literarturnaja gaseta , 11, 1992, Moskwa; Stichi. In: Gumantitarnyj fond , 50, 1992, Moskwa; Slesy ob ubitom i saduschennom. In: Nesavisimaja gaseta , 64, 1993, Moskwa.
  5. Vgl. u. a.: Dmitri Prigow: Kak mne predstawljaetsja Charitonow. In: Glagol, 2, 10, 1993; E. Popow: Kus ne po subam. In: Ebenda; Wenedikt Erofeew: Stranstwie stradajuschtschej duschi. In: Ebenda; A. Goldschtejn: Slesy na zwetach. In: Nowoe literaturnoe obosrenie, 3, 1993; M. Remisowa: Slesy ob ubitom i saduschennom. In: Nesawisimaja gaseta, 30. okt., 1993; O. Dark: Nowaja russkaja prosa i sapadnoe srednewekowje. In: Nowoe literaturnoe obosrenie, 8, 1994; Aleksdandr Shatalov: The last unprintable writer. In: Index of censorship, 1, 1995, London.
  6. Kn. 1.: Pod domaschnim arestom; kn. 2.: Dopolnenia i priloshenia. Moskva 1993 (Buch 1: Unter Hausarrest; Buch 2: Ergänzungen und Anlagen).
  7. Berlin „Berlin Verlag GmbH“.
  8. Ich definiere Charitonows Texte in diesem Falle als Erzählungen, obwohl mir die Vagheit der Genrebezeichnung durchaus bewußt ist. Sie sind in keines der existierenden Genres einfach einzuordnen, entsprechende Untersuchungen dazu stehen noch aus. M. E. aber entspricht ihnen die Bestimmung als „Erzählung“ doch noch am ehesten.
  9. Viele davon sind allerdings schwer zu definieren, da Charitonow zu Lebzeiten nur sehr wenig publiziert wurde. Siehe Anmerkung 1. Erscheinungsdaten seiner Werke decken sich nicht unbedingt mit deren Entstehungszeit. Er selbst verzichtet auf Datierungen am Textende, da dies seiner Schreibstrategie widersprechen würde.
  10. Zit. nach Gabriele Leupold: Ein Held der Schwäche. In: Ewgeni Charitonow: Unter Hausarrest. Ein Kopfkissenbuch. Berlin 1996, S. 376.
  11. Georg Witte: Der beobachtete Erzähler. Literarische Reflexe des Anormalen - am Beispiel Evgenij Charitonovs. In: Jochen-Ulrich Peters; German Ritz (Hrsg.): Enttabuisierung. Essays zur russischen und polnischen Gegenwartsliteratur. Bern, Berlin, Frankfurt a. M. u. a.: 1996, S. 145.
  12. Soweit die Entstehungszeit einzelner Erzählungen feststellbar ist, deckt sich das Alter des Erzählers mit dem des Autors. In frühen Texten (z. B.: „Die Röhre“) charakterisiert er sich als ein Mann um die 30, in den späteren Texten weist er sich selbst als 40jährigen aus.
  13. Es erfolgen entweder konkrete Altersangaben oder Hinweise wie: geht in die 9. Klasse, will beginnen zu studieren u. ä.
  14. Ewgeni Charitonow: Im kühlen, höheren Sinne. In: ders.: Unter Hausarrest. Ein Kopfkissenbuch. Berlin 1996, S. 322.
  15. Vgl. dazu den Aufsatz von Georg Witte - Anm. Nr. 11.
  16. Ewgeni Charitonow: Ein lebenstüchtiger Kleiner. In: ders.: Unter Hausarrest (wie Anm. 14), S. 56.
  17. Ewgeni Charitonow: Ein nichttrinkender Russe (wie Anm. 14), S. 266.
  18. Ebenda, S. 257.
  19. Ebenda, S.252-253.
  20. Ewgeni Charitonow: Tränen auf Blüten (wie Anm. 14), S. 295-296.
  21. Ebenda, S. 296.
  22. Ebenda, S. 303.
  23. Charitonow, E.: Im kühlen, höheren Sinne (wie Anm. 14), S. 322.
  24. Dies entspricht dem tatsächlichen Alter Charitonows beim Abfassen der Erzählung.
  25. Ewgeni Charitonow: Die Röhre (wie Anm. 14), S. 11.
  26. Ebenda, S. 13.
  27. Ebenda, S. 16.
  28. Ebenda, S. 27.
  29. Ebenda, S. 18.
  30. Ebenda, S. 25.
  31. Nur einmal bemerkt er einen, der um vieles älter als er zu sein scheint.
  32. Ewgeni Charitonow: Die Röhre (wie Anm. 14) 45-46.
  33. Ebena, S. 46.
  34. Ebenda, S. 23.
  35. In späteren Texten wiederholt der Ich-Erzähler mehrmals den Wusch, einen Freund zu haben, mit dem er die Wohnung teilen und einen gemeinsamen Hausstand gründen könnte.
  36. Ewgeni Charitonow: Tränen über einen Ermordeten und Erhängten (wie Anm. 14), S. 183.