28.12.2011

Deutsch-polnische Beziehungen 5

Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen
20. Jahrhundert



Zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 
von den Anfängen bis zum 20. Jahrhundert – ein Überblick
B. Seidel-Dreffke


1. Einführung
2. Mittelalter
3. Frühe Neuzeit
4. 19. Jahrhundert
5. 20. Jahrhundert
6. Literaturhinweise





5.) Das 20. Jahrhundert 

1900-1939: Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit

1914 beginnt der Erste Weltkrieg. Der polnische Offizier Jozef Pilsudski[15] versucht die Chance Polens, seine Selbständigkeit wiederzuerlangen, zu nutzen. Er hofft auf die Niederlage Russlands und der Mittelmächte. Zunächst kämpft er mit seinen Verbänden auf österreichischer Seite und verbündet sich schließlich mit den Westmächten. Im Jahre 1916 kommt es zur Proklamation eines „Königreichs Polen“ ohne souveräne staatliche Kompetenzen. Es gibt Diskussionen wie die Gebiete Schlesien, Pommern, West- und Ostpreußen zurückzugewinnen seien. Im Januar des Jahres 1918 fordert Präsident Wilson[16] die Schaffung eines unabhängigen polnischen Staates. Im November bricht die deutsche Verwaltung in Warschau zusammen. Pilsudski kehrt aus der Festung Magdeburg nach Polen zurück. Er wird Staatschef des wieder unabhängigen Polen. 1919 legt der Vertrag von Versailles die Westgrenze Polens fest. Nach einer Volksabstimmung bleibt der südliche Teil Ostpreußens beim Deutschen Reich. In Oberschlesien findet 1921 eine Volksabstimmung statt. 60% votieren für Deutschland, 40 % für Polen. Schließlich kommt es zur Teilung Oberschlesiens: Gleiwitz, Beuthen, Hindenburg blieben deutsch, Kattowitz wird polnisch.

Es kommt zu wachsenden Spannungen zwischen Polen und Deutschland.

Der Abschluss eines Nichtangriffspaktes mit Deutschland im Jahre 1934 soll Polen formal vor einem neuen Überfall durch ein ehemaliges Besatzerland schützen.


1939-1945: Der deutsche Überfall auf Polen im Zweiten Weltkrieg

Bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges besiegelt der sogenannte „Hitler-Stalin-Pakt“ mit seinem geheimen Zusatzprotokoll die Abgrenzung der Interessen Berlins und Moskaus in bezug auf Polen. Am 01. September des Jahres marschiert die deutsche Armee ohne Kriegserklärung in Polen ein. Da die Rote Armee ab 17. September aktiv in die Kampfhandlungen eingreift, ist bereits nach 18 Tagen die militärische Niederlage Polens unabwendbar. Die Sowjetunion und das Deutsche Reich teilen sich entlang der Demarkationslinie das Territorium auf. Polen hört wieder auf, als Staat zu existieren. Dabei haben die deutschen Besatzer schon bald mit aktivem polnischen Widerstand zu kämpfen. Das brutale Vorgehen der SS und der von den Deutschen gestellten Milizen verstärken den Hass auf die Besatzungsmacht. Ein von den Deutschen vorgesehenes Germanisierungsprogramm hat das Ziel, die polnische Bevölkerung aus den besetzten Gebieten auszutreiben und zu versklaven, sowie die Intelligenz zu vernichten.

Ein Fünftel aller Polen hat am Ende des Krieges das Leben eingebüßt.

Im Jahr 1944 verzeichnet die Rote Armee immer mehr Gebietsgewinne im Westen. Mit ihrem Eindringen auf das Gebiet des Deutschen Reiches verlassen viele Deutsche zwangsweise ihre Heimat. Das Schicksal der Vertriebenen stellt eine weitere Tragödie des Krieges dar.

Das Potsdamer Abkommen legt am 02. 08. 1945 neue Nachkriegsgrenzen fest. Die polnische Grenze wird nach Westen verschoben. Alle Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie fallen an Polen. Es werden zahlreiche Deutsche aus den zu Polen gehörenden Gebieten umgesiedelt. Insgesamt verlassen Polen bis 1950 ca. 3,2 Millionen Deutsche.


Nach 1945: Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und den beiden deutschen Staaten

Polen ist sowjetisch dominiert. Die beiden nach dem Krieg entstandenen Staaten betreiben in bezug auf Polen eine unterschiedliche Politik. Die Außenpolitik wird durch die jeweilige Supermacht (USA, UdSSR) diktiert. Mit der dem sozialistischen Ostblock zugeordneten DDR wird eine freundschaftliche Zusammenarbeit aufgebaut. Zwischen  der BRD und Polen gestalten sich die Beziehungen lange Zeit schwierig. Ein Hauptgrund dafür ist der Streit über die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.

Auf der 4. Tagung der Konferenz der Stellvertretenden Außenminister der vier Großmächte 1947 in Moskau bestreiten die Westmächte den endgültigen Charakter der Potsdamer Entscheidung hinsichtlich der deutsch-polnischen Grenze. Dies wird von der Sowjetunion stark kritisiert. Gleichzeitig protestiert Polen gegen die Infragestellung der Oder-Neiße-Linie.


1949-1990: Beziehungen zwischen VR Polen und DDR

Am 12. 10. 1949 erklärt der Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl[17], in seiner ersten Regierungserklärung, dass die DDR die Westgrenze Polens endgültig anerkennt. Am 18. 10. 1949 erkennt Polen die DDR an und nimmt mit ihr diplomatische Beziehungen auf. Im Juni 1950 unterzeichnen Polen und die DDR in Görlitz schließlich ein Abkommen über die Markierung der deutsch-polnischen Grenze an Oder und Neiße.

Im Jahre 1953 gibt die polnische Regierung in einer Erklärung ihren Verzicht auf weitere Wiedergutmachung seitens der DDR bekannt.

1955 erklärt Polen den Kriegszustand mit Deutschland für beendet. Dieser Beschluss bezieht sich auf eine adäquate Entschließung des Obersten Sowjets der UdSSR. Im selben Jahr unterzeichnen Albanien, Bulgarien, die ČSSR, DDR, Polen, Rumänien, Sowjetunion und Ungarn einen Beistands- und Freundschaftspakt (Warschauer Pakt).

Ein auf 20 Jahre ausgelegtes Abkommen über Freundschaft und Zusammenarbeit wird 1967 zwischen Polen und der DDR unterzeichnet. Grundlage dafür bilden die gegenseitige Anerkennung der territorialen Integrität beider Staaten und die Aufforderung an die BRD die Grenze zur DDR und zwischen DDR und Polen zu respektieren.

Im Jahre 1971 kommt es zur Unterzeichnung eines Abkommens zwischen Polen und der DDR über den Grenzverkehr. Mit dem Inkrafttreten dieses Abkommens (1. Januar 1972) wird die Grenze für Staatsangehörige beider Länder offen.

In den 70er und 80er Jahre finden zahlreiche gegenseitige Partei- und Staatsbesuche zwischen der DDR und der VR Polen statt. Der kulturelle und wirtschaftliche Austausch wird intensiviert.

Die von Solidarnosc geführten Demokratisierungsbestrebungen finden zwar in der Bevölkerung der DDR Widerhall, stoßen aber auf rigide Abgrenzungsversuche seitens der Staatsführung der DDR.


1949-1990: Beziehungen zwischen VR Polen und BRD

Am 20. September 1949 spricht sich Bundeskanzler Adenauer[18] in seiner ersten Regierungserklärung gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze aus.

Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern bleiben aufgrund des Grenzproblems gespannt. Im Jahr 1957 erklärt sich W. Gomulka[19] (1. Sekretär der PVAP) bei einer Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die BRD bereit, die Beziehungen Polens zur Bundesrepublik zu normalisieren. Die Bundesregierung ist dazu noch nicht bereit.

Dennoch gehen die Bemühungen um eine gegenseitige Annäherung weiter. Ein dreijähriges Handelsabkommen zwischen Polen und der BRD wird 1963 unterzeichnet. Einen besonderen Meilenstein markiert dabei das Jahr 1970. In diesem Jahr besucht Bundeswirtschaftsminister Schiller[20] als erstes Mitglied der Bundesregierung offiziell die VR Polen.

Am 12. August wird der Moskauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion geschlossen. Darin verzichtet die deutsche Seite auf Gebietsansprüche und bezeichnet die Oder-Neiße-Grenze und die Grenze zur DDR als unverletzlich.

Im Oktober des Jahres wird ein langfristiges Abkommen zwischen der BRD und Polen über den Warenverkehr und die Zusammenarbeit auf wirtschaftlich-technischem Gebiet abgeschlossen. Am 07.12. kommt es zur Unterzeichung des Warschauer Vertrages. Dieser bildet die Grundlage der Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Eine besondere Bedeutung hat dabei der Besuch von Bundeskanzler Brandt[21] an der Spitze der deutschen Delegation in den Warschauer Gedenkstätten. Weltweite Beachtung ruft der Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos hervor.

In den Jahren 1972-1980 kommt es zur Unterzeichnung verschiedener Abkommen zwischen BRD und Polen (Fischereiabkommen, Abkommen über die Entwicklung der wirtschaftlichen, industriellen und technischen Zusammenarbeit, über den zivilen Luftverkehr, über kulturelle Zusammenarbeit u.a.) Es erfolgen gegenseitige Staatsbesuche. Im Jahr 1972 werden offiziell diplomatische Beziehungen zwischen der BRD und Polen aufgenommen. Wichtiger Höhepunkt für den weiteren Friedensprozess in Europa ist 1975 die Unterzeichnung der Schlussakte der KSZE in Helsinki. Es wird darin die Unantastbarkeit der Grenzen und der territorialen Integrität der europäischen Staaten betont. 1977 findet in Bonn findet das erste „Forum Bundesrepublik Deutschland – VR Polen“ statt. Daran nehmen Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und der Intellektuelle teil. Hauptdiskussionsthema ist die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Im selben Jahr besucht Bundeskanzler Schmidt[22] Polen.

In den Jahren 1983-1989 gibt es nach Aufhebung des Kriegsrechts in Polen weitere Annäherungsversuche zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der VR Polen.


1990-2003: Beziehungen zwischen Polen und dem wiedervereinten Deutschland

Nach der deutschen Vereinigung werden Anstrengungen unternommen, eine neue Qualität der Beziehungen zwischen Polen und Gesamtdeutschland zu erreichen. Es werden neue Abkommen abgeschlossen und die Zusammenarbeit wird auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet ausgebaut.  Im Jahr 1990 wird ein Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze abgeschlossen.

Im 17. Juni 1991 wird der Vertrag zwischen BRD und Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit abgeschlossen. Im Zusammenhang mit diesem Vertrag  kommt es zur Unterzeichnung einzelner Abkommen und Vereinbarungen: über das Deutsch-Polnische Jugendwerk, Vereinbarung über die Bildung eines Deutsch-Polnischen Umweltrates, Notenwechsel über die Einrichtung der Deutsch-Polnischen Regierungskommission für regionale und grenznahe Zusammenarbeit.

Im Jahr 1998 beginnen die offiziellen Beitrittsverhandlungen Polens mit der EU. Gemeinsam mit Ungarn und Tschechien wird Polen 1999 in die NATO aufgenommen.

Das Jahr 2003 markiert den Beginn der Schaffung der offiziellen Rahmenbedingungen für Polens Beitritt zur EU im Jahre 2004.



--------------------------------------------------------------------------------


[15] Jozef Klemens Pilsudski (1867-1935) prägt den Verlauf der polnischen Geschichte im 20. Jahrhundert entscheidend. Bereits während seiner Studentenzeit engagiert er sich in der sozialistischen Bewegung, die sich für die Unabhängigkeit Polens von Russland einsetzt. Wegen angeblicher Beteiligung an einer Verschwörung zur Ermordung des Zaren Alexander III wird er von russischen Behörden festgenommen und, obwohl ihm keine Schuld nachgewiesen werden kann, nach Sibirien verbannt. Pilsudski kehrt 1892 aus der Verbannung zurück und beteiligt sich an der Gründung der Polnischen Sozialistischen Partei , deren Ziel vorrangig im Kampf für die Unabhängigkeit Polens besteht.  Im I. Weltkrieg kämpfte Pilsudski auf Seiten der Mittelmächte gegen Russland. Einem von den Mittelmächten für das Königreich Polen eingesetzten Staatsrat gehörte auch Pilsudski an. 1917 wird er von den Deutschen verhaftet, da er eine unabhängige polnische Regierung fordert. Nach seiner Freilassung 1918 kehrt er nach Warschau zurück, wird Oberbefehlshaber der polnischen Armee und übernimmt schließlich als Staatschef auch die politische Macht in der polnischen Republik. Obwohl Pilsudski 1922 unter der neuen demokratischen Verfassung auf die Kandidatur für das Präsidentenamt verzichtet und als Generalstabschef zurücktritt, bleibt er bis zu seinem Tode der starke Mann in Polen. Von 1926 bis 1935 ist er Kriegsminister und Oberbefehlshaber der Truppen. 1933 erwägt er einen Präventivkrieg gegen Deutschland, stößt aber bei Frankreich auf Ablehnung, was schließlich zum Abschluss des Nichtangriffspaktes mit Hitler führt.

[16] Thomas Woodrow Wilson (1856-1924) ist von 1913 bis 1921 Präsident der USA. Außenpolitisch spielt er eine bedeutende Rolle bei der Gründung des Völkerbundes.

[17] Otto Grotewohl (1894-1964) ist von 1949 bis 1964 Ministerpräsident der DDR.

[18] Konrad Adenauer (1876-1967) ist von 1949 bis 1963 erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er prägt während  seiner langen Amtzeit wesentlich die Außen- und Innenpolitik der Bundesrepublik. Sein wichtigstes außenpolitisches Ziel, ist die Westintegration der Bundesrepublik.

[19] Die Politik Wladyslaw Gomulkas (1905-1982) prägt die Nachkriegspolitik Polens entscheidend. Sein bereits frühes Engagement in der kommunistischen Partei bringt ihn mehrmals ins Gefängnis. Während des II. Weltkriegs kämpft er im polnischen Widerstand. Zwischen 1945 und 1949 ist der stellvertretender Ministerpräsident und Minister „für die wiedergewonnenen Gebiete“ im Westen Polens. Gomulka versucht einen gegenüber der sowjetischen Staatsführung unabhängigen Kurs zum Sozialismus zu verfolgen. Dies führt zu seiner Verhaftung im Jahre 1951. Erst 1954 wird er im Zuge der Entstalinisierung entlassen und rehabilitiert. Er wird erster Sekretär des Zentralkomitees der Partei und übernimmt damit eine führende Rolle in Polen. Er muss allerdings nach den schweren Unruhen 1970 zurücktreten.

[20] Karl Schiller (1911-1994) ist zwischen 1966 bis 1972 Bundeswirtschaftsminister. Schließlich gerät er wegen seines Sparkonzepts zunehmend in Konflikt mit seiner Partei. Er muss als Wirtschafts- und Finanzminister zurücktreten.

[21] Willy Brandt (1913-1992) ist zwischen 1969 und 1974 der vierte Bundeskanzler der Bundesrepublik. Er ergänzt die von Adenauer in der Ära des Kalten Krieges begründete Westintegration der BRD durch eine Politik der Verständigung und Aussöhnung mit Osteuropa.

[22] Helmut Schmidt (*1918) ist zwischen 1974 und 1982 der fünfte Bundeskanzler der Bundesrepublik. Seine Amtszeit ist geprägt von Problemen der schwersten Weltwirtschaftskrise seit 1929 und durch die Verschärfung der innenpolitischen Situation als Folge der Mordanschläge der linksterroristischen Rote-Armee-Fraktion. Er wird nach einem konstruktiven Misstrauensvotum von Helmut Kohl als Bundeskanzler abgelöst. Seit 1983 wirkt Schmidt an der Mitherausgabe der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ mit.



  

Keine Kommentare: