30.10.2011

Erzählungen und Reiseberichte 3

E. P. Blavatskaja - Erzählungen und ReiseberichteE. P. Blavatskaja - Erzählungen und Reiseberichte
E. P. Blavatskaja - Leben, Werk und Wirkung



E. P. Blavatskaja - Erzählungen und Reiseberichte.

In: FrauenLiteratur-Geschichte, Band 10. Verlag F. K. Göpfert, Fichtenwalde 1999


Inhalt:




III.1.: E. P. Blavatskaja - Leben, Werk und Wirkung

I.

Elena Petrovna Blavatskaja wurde am 31. Juli (12. August) 1831 in Ekaterinoslav (später Dnepropetrovsk) in Südrußland geboren. Die Familie, aus der sie stammte, brachte mehrere für die russische Kulturgeschichte relevante Persönlichkeiten hervor.

Ihre Mutter war die Schriftstellerin Elena A. Gan (1814 - 1842), die sich bereits einen festen Platz in der russischen Frauenliteraturgeschichte erobert hat. Vissarion G. Belinskij hatte sie sogar als "russische George Sand" bezeichnet. Bereits mit ihrem ersten, 1837 erschienenen Werk "Ideal" hatte sie Erfolg. Die Schwester Blavatskajas, Vera P. Želichovskaja, trat vor allem als Kinderbuchautorin in Erscheinung. Die Großmutter Elena P. Fadeeva (geborene Dolgorukaja) nahm rege am kulturellen Leben Anteil, verfügte über eine beachtliche Bibliothek und soll sogar mit Alexander von Humboldt korrespondiert haben. Blavatskajas Cousin war der Finanzminister Sergej Ju. Vitte, der der Theosophin einen ausführlichen Abschnitt in seinen "Vospominanija" (1907 - 1912) widmet. Das allem Kulturellen sehr aufgeschlossene Familienklima hatte zweifellos einen nicht geringen Einfluß auf den weiteren Lebensweg Elena Petrovnas.

Da ihre Mutter schon sehr früh starb, wurden die beiden Schwestern ab 1842 von den Großeltern erzogen. Eine Auslandsreise mit ihrem Vater zwischen den Jahren 1844 und 1846 (Paris und London) wurde für sie zum besonderen Erlebnis. Das Fremde faszinierte sie und weckte in ihr den Wunsch, noch mehr von der Welt kennenzulernen. Im Jahre 1849 heiratet sie den russischen Staatsbeamten Nikifor V. Blavatskij. Die Ehe war allerdings nicht glücklich, und bereits nach drei Monaten flüchtete sie vor ihrem Mann nach Tiflis, von wo aus sie sich über Konstantinopel nach Ägypten begab, um schließlich auch Griechenland und andere Teile Osteuropas zu bereisen. In den fünfziger Jahren war Blavatskaja ständig unterwegs in Europa, Amerika, Kanada und Indien und versuchte schließlich nach Tibet zu gelangen, woran sie aber vom britischen Regierungsvertreter in Nepal gehindert wurde. Im Jahre 1858 kehrte sie nach Rußland zurück, wo sie vor allem den Kontakt zu ihrer Schwester festigte. Allerdings zeigten sich schon in dieser Zeit bei ihr Anzeichen einer schweren Krankheit, die sie in den folgenden Jahren periodisch ans Bett fesseln wird. Ihr ungeheurer Lebenswille aber läßt sie weiter das Ziel verfolgen, was sie schließlich als ihre Mission betrachtet - die Verbreitung der theosophischen Lehre.

Ab 1866 begibt sich Elena Petrovna wieder auf Reisen. Über ihre Aktivitäten in den folgenden Jahren gibt es unterschiedliche Spekulationen, denn ihre Reiseziele sind wieder sehr vielgestaltig (Balkan, Ägypten, Syrien, Italien, Indien, Tibet, Griechenland). Man kann aber auf jeden Fall davon ausgehen, daß sie zu dieser Zeit eine rege spirituelle Entwicklung durchläuft und auch ihr Lebensziel genauer eingrenzt. Sie interessiert sich für den Okkultismus, spiritistische Phänomene, Philosophien und religiöse Systeme des Ostens. Persönliche Begegnungen mit Vertretern unterschiedlichster Geistesrichtungen gaben ihrem Streben nach und nach eine bestimmte Richtung. Im Jahre 1871 unternahm sie den ersten Versuch der Gründung einer Gesellschaft, die sich mit der Erforschung spiritistischer Phänomene beschäftigen sollte. Allerdings ist sie von den ihr zuströmenden Personen bald enttäuscht, die vor allem an Sensationen und weniger an ernsthaften Studien interessiert sind, so daß sie die Gruppe wieder auflöst. Die Idee der Bildung einer Gesellschaft aber bleibt bei ihr bestehen und wurde schließlich 1875 in New York in die Tat umgesetzt.

Sie gründete zusammen mit William Q. Judge (1851 - 1896) und Henry S. Olcott (1832 - 1907) die "Theosophische Gesellschaft". Diese will sich vor allem folgenden drei Aufgaben widmen: 1. Schaffung einer allgemeinen Bruderschaft der Menschheit ohne Ansehen von Rasse, Religion und Nationalität; 2. Vergleichendes Studium unterschiedlicher Kulturen und Religionen unter besonderer Berücksichtigung der "östlichen Weisheit"; 3. Studium der verborgenen (okkulten) Kräfte der menschlichen Natur. Gründungsmitglieder waren u. a. so bekannte Persönlichkeiten wie der Erfinder Thomas A. Edison und der Physiker Alexander Wilder.

In den Jahren von 1875 bis 1879 ist Blavatskaja mit hohem persönlichem Einsatz darum bemüht, der "Theosophischen Gesellschaft" Anhänger zu verschaffen. Gleichzeitig vollzieht sie mehr und mehr eine Abkehr vom Spiritismus. Sie will nun eine eigene Lehre begründen und nicht mehr vor allem Sprachrohr für verschiedene im Kontext okkulter Richtungen im 19. Jahrhundert entstandener Konzepte sein. Eine erste Zusammenfassung ihrer Überlegungen präsentierte das 1877 erschienene Buch "Isis Unveiled" ("Isis entschleiert"). Es wurde wie viele andere Werke der Theosophin zuerst in englischer Sprache publiziert und später ins Russische übersetzt. Auf diese Weise sollte ihren Ideen eine größtmögliche Verbreitung gesichert werden. Blavatskaja veröffentlichte in dieser Zeit auch eine ganze Reihe von Aufsätzen in verschiedenen Zeitschriften. Dabei konzentriert sich ihr Interesse durchaus nicht ausschließlich auf die okkulte Thematik. Sie nimmt Stellung zur Frauenemanzipation, setzt sich für den Tierschutz ein und wird Vordenkerin später populärer ökologischer Fragen. Engagiert kritisiert sie den britischen Kolonialismus, der die einheimische indische Bevölkerung als Menschen zweiter Klasse behandelte. Dadurch schuf sie sich unter den Kolonialherren nicht wenige Feinde. Auch die nationale Problematik bewegt sie. Dabei präsentiert sie sich als russische Patriotin, die ihre Heimat vor Angriffen in Schutz nimmt, die bereits im 19. Jahrhundert in Rußland ein "Reich des Bösen" sahen.

Zu einem ernsthaften Problem für ihre Reputation wurde allerdings ihr Engagement auf einem anderen Gebiet. Sie präsentiert verschiedene Illusionen, die sie als Phänomene gedeutet wissen will, die sie mittels verborgener, aber prinzipiell für jeden erschließbarer Kräfte erzeugen könne. Oft fallen für ihre jeweiligenGesprächspartner bestimmte Briefe von der Decke, die Antworten auf deren Lebensfragen enthalten. Zuschauern ihrer Séancen werden die gewünschten Gegenstände beschafft. Blavatskaja gibt den Inhalt versiegelter Briefe adäquat wider. Darüber hinaus erklingen in ihrer Nähe oft die unterschiedlichsten Klopfgeräusche. Dies brachte ihr bald den Ruf einer Scharlatanin ein. Die Zeit, in der man mit solcherart Fähigkeiten, wie heute etwa ein David Copperfield, zum Publikumsliebling avancieren konnte, war noch nicht gekommen.

In den Jahren 1879 - 1884 zog es Blavatskaja erneut in den Osten, vor allem nach Indien, das sie ausgiebig bereiste. Adyar, eine Vorstadt von Madras, wurde schließlich zum Hauptquartier der "Theosophischen Gesellschaft". Von Indien aus gab man die Zeitschrift "The Theosophist" heraus. Die Einheimischen schätzten das engagierte Eintreten der Theosophen für ihre Philosophie und Religion. Das indische Selbstbewußtsein wurde gestärkt, die britische Überfremdung etwas abgemildert. Im Osten (vor allem Indien und Tibet) ist Blavatskaja auch heute noch populärer als im Westen. Sowohl Mahatma Gandhi als auch der Dalai Lama äußerten sich über ihre Schriften. Im Jahre 1884 reiste Blavatskaja nach Europa, um sich über die Arbeit der europäischen Sektionen der "Theosophischen Gesellschaft" zu informieren. Während ihrer Abwesenheit kam es in Indien zu Ereignissen, die die schärfste Krise ihres Lebens provozieren sollten. Das Ehepaar Coulomb, das bei ihr in Diensten stand, mit dem es aber wiederholt zu Auseinandersetzungen gekommen war, bezichtigte Blavatskaja öffentlich des Betruges. Zu dieser Zeit suchte auch ein Abgesandter der damals führenden parapsychologischen Gesellschaft, der Londoner "Society for Psychical Research", Richard Hodgson, Adyar auf mit der Aufgabe, die Authentizität der von Blavatskaja erzeugten Phänomene zu untersuchen. Dieser wird negativ von der Coulomb-Affäre beeinflußt. Er kommt schließlich zu dem Schluß, daß es sich bei Blavatskaja um eine der genialsten Scharlatane des 19. Jahrhunderts handele. Allerdings analysiert er dabei vor allem ihre Person und weniger ihre Werke. Der Ruf der Theosophin war damit in einem Maße beschädigt, daß auch die Relevanz ihrer Publikationen angezweifelt wurde. In der öffentlichen Meinung brach sich Bahn, was bis dahin mehr oder weniger ausgesprochene Hauptkritik an ihrem Lebensweg war: eine Frau, die allein die Welt bereiste, auf einem unabhängigen Leben und einer eigenen Meinung beharrte, stellte nach Meinung der oft noch konservativ eingestellten Öffentlichkeit eine Provokation dar. Man nutzte nun die Gelegenheit, um mit ihrer Gründerin auch die Lehre zu verteufeln.

Zwar begab sich Blavatskaja 1885 noch einmal nach Indien, doch sie hält die angespannte Situation nicht aus und kehrt schließlich für immer nach Europa zurück. Sie konzentriert sich nun vor allem auf die theoretische Begründung ihrer theosophischen Lehre. Höhepunkte dieser Bestrebungen sind: "The Secrete Doctrine" ("Die Geheimlehre"; 1888); "The Voice of the Silence" ("Die Stimme der Stille"; 1889) und "The Key to Theosophy" ("Der Schlüssel zur Theosophie"; 1889). "The Secrete Doctrine" gilt bis heute als "Bibel" der Theosophie. Dieses Buch ließ das Interesse an ihrer Lehre schließlich erneut aufflammen. In den achtziger Jahren verfaßt sie auch einen Großteil ihres Prosawerks. Besonders ihre Reiseberichte finden in Rußland eine breite Resonanz.

In ihren letzten Lebensjahren nimmt sie ihren Hauptwohnsitz in London, wo sie am 26. April (8. Mai) stirbt. Ihre Nachfolge tritt Annie Besant (1847 - 1933), die spätere Präsidentin der "Theosophischen Gesellschaft" (Adyar) an. Nach dem Tode Blavatskajas führen Kompetenzstreitigkeiten innerhalb der Gesellschaft aber rasch zu Abspaltungen. Bis heute existieren eine Reihe von "Theosophischen Gesellschaften" ("Adyar", "Point Loma-Covina", "Theosophische Gesellschaft in Deutschland", "Tempel der Menschheit", "Arbeitskreis Unterlegenhardt").



II.

Das theosophische System E. P. Blavatskajas wurde vor allem in ihren beiden Hauptwerken "Isis Unveiled" und "The Secrete Doctrine" entworfen. Der Begriff "Theosophie" ist historisch bereits auf unterschiedlichste Weise definiert worden. Auch Blavatskaja vereinnahmte ihn für ihre Lehre und setzte neue Akzente. An dieser Stelle soll vor allem der Unterschied ihres Systems zur Mystik gezeigt werden. Blavatskajas Theosophie ist nicht zu verwechseln mit der auch unter diesem Begriff subsumierten abendländisch-christlichen Theosophie (= Gottesweisheit), die davon ausgeht, daß es ein höheres Wissen um Gott und das Göttliche durch unmittelbares Erkennen und Erleben, durch direktes Schauen geben kann. Eine Vorstellung, die letztendlich auf Mystik hinausläuft. Hauptunterschied zwischen der Theosophie Blavatskajas und der Mystik ist dabei der, daß letztere sich um sofortige Vereinigung mit Gott bemüht, während es das Bestreben ersterer ist, sich vor allem mit dem sogenannten "höheren Selbst" zu vereinen und später erst mit dem Göttlichen, wobei auch der Gottesbegriff von traditionell westlich geprägten Vorstellungen verschieden ist. Der Gottesbegriff der Theosophie läßt sich am ehesten mit dem hinduistischen Brahman, dem "unpersönlichen, obersten und unerkennbaren Prinzip des Universums, aus dessen Existenz alles emaniert und in die alles zurückkehrt, das unkörperlich, immateriell, ewig, anfangs- und endlos ist", vergleichen.

Die Theosophie Blavatskajas möchte ich als okkultes Welterklärungsmodell definieren, das auch für den Okkultismus insgesamt typische Aspekte in sich vereint.

Philosophische Grundlage des theosophischen Denkens ist ein radikaler Monismus, der davon ausgeht, daß die Wirklichkeit einheitlich und von einerlei Grundbeschaffenheit sei. Man geht davon aus, daß alle Dinge zueinander in einer bestimmten Beziehung stehen, die aber weder räumlich noch zeitlich determiniert ist. Hinter der sichtbaren, sogenannten "grobstofflichen Wirklichkeit" existiert das "feinstoffliche Universum", das man durch Anwendung verschiedener Techniken erkennen und für sich nutzbar machen kann. Die Theosophie Blavatskajas ist in diesem Sinne besonders darauf ausgerichtet, alle Gegensätze zu überwinden bzw. sie als zwei Seiten der im Grunde selben Erscheinung anzusehen. So werden Differenzen, zum Beispiel zwischen Leib und Seele, Stoff und Geist, aber auch Welt und Gott durch die Vorstellung eines einzigen Prinzips, das der Wirklichkeit zugrundeliegt, relativiert, ihre gegenseitige Bedingtheit hervorgehoben. Hier wird die hermetische Vorstellung der Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos akzentuiert, die ebenfalls auf die Überwindung des ontologischen Dualismus ausgerichtet war. Es wird die Idee der All-Einheit evoziert, wie sie auch in Systemen russischer Philosophen, z. B. bei Vladimir S. Solov'ev, ihren Niederschlag fand. Von diesen Vorstellungen ausgehend wird darüber hinaus auch der enge Bezug der Theosophie Blavatskajas zur neuplatonischen Philosophie deutlich.

Auf solchen und ähnlichen Vorstellungen wird die theosophische These aufgebaut, daß in allen Religionen und Mythen der Völker der Welt jeweils ein innerer Wahrheitskern verborgen sei, der mit allen anderen übereinstimme.

Blavatskajas Theosophie propagiert nicht nur die Verbundenheit aller Menschen miteinander, sondern auch der Menschen mit allen anderen Lebewesen der Tier- und Pflanzenwelt.

Blavatskaja glaubte mit ihrem System nicht nur religiöse und philosophische Konzeptionen revolutionieren zu können, sondern hoffte auch einen Beitrag zur Überwindung der mechanistischen Naturwissenschaften und zur Schließung der Kluft zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu leisten. Denn auch natürliche Phänomene wie Kraft, Energie, Magnetismus, Elektrizität u. a. werden als teilweise Offenbarungen einer Art Weltseele verstanden, denn alles in der Natur wird im Sinne eines pantheistischen Weltbildes als mit Bewußtsein ausgestattet betrachtet.

Die Theosophie entwickelt ihre eigene Konzeption der Struktur des Seins. Nach ihrer Vorstellung ist die Welt streng hierarchisch aufgebaut, wobei in den für unser natürliches Auge noch verborgenen Welten bzw. Ebenen Wesen mit einem dem unseren weit überlegenen Grad an Erkenntnisfähigkeit, Wissen und moralischer Integrität agieren. Jeder Mensch ist prinzipiell in der Lage, durch Entwicklung der in ihm noch verborgenen geistigen Kräfte und Fähigkeiten in der Hierarchie aufzusteigen. Auf den höheren Ebenen existieren bereits aufgestiegene Meister, die die Lehrerschaft gern übernehmen. Zu ihnen gehören Krishna, Buddha und auch Jesus Christus, die alle Eingeweihte des Sonnenmysteriums seien. Um diese Vorstellungen für eine breite Öffentlichkeit anschaulicher zu machen, konzipierte Blavatskaja zwei aufgestiegene Meister (Adepten) Koot Humi (K. H.) und den Meister Morya (M. M.), die ihr nun nach ihrer eigenen Darstellung all das für die Menschheit in ihrer gegenwärtigen Entwicklungsphase notwendig werdende Wissen übermittelten. Allerdings war es genau dieses Konzept der "Meister" bzw. "Mahatmas", die der Außenwirkung der Theosophie oft schadeten. Einerseits war ihre Existenz nur schwer zu beweisen, andererseits verschreckte sie diejenigen, die neue geistige Wege beschreiten wollten, ohne sich erneut absoluten Autoritäten unterordnen zu müssen.

Blavatskaja illustriert ihre Ideen außerordentlich reich durch Material aus Legenden, Mythen und geschichtlichen Überlieferungen und Spekulationen. Ihre Werke ergeben auf diese Weise eine fesselnde, ungewöhnliche Lektüre, die maßgeblich zur Verbreitung ihrer Lehre beitrug.

Facetten des antiken Sonnenkultes spielten dabei im theosophischen System der Blavatskaja eine entscheidende Rolle. Nach ihren Vorstellungen ist der solare Logos die für unser Sonnensystem in seiner gegenwärtigen Phase entscheidende geistige Wesenheit. Der Mensch erhält im theosophischen System einen besonderen Stellenwert, da er das einzige Lebewesen repräsentiert, das aus eigener Kraft in der Lage ist, sich mit dem solaren und damit mit dem kosmischen Logos zu verbinden. Verschiedene Anleitungen, wie dieses Ziel zu erreichen sei, gibt Blavatskaja auch. Damit ist Blavatskajas Theosophie auch von einem radikalen Selbsterlösungsglauben gekennzeichnet, was u. a. einen entscheidenden Unterschied zum Christentum markiert.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf ein weiteres wichtiges Kennzeichen eingehen, das sowohl der Theosophie als auch anderen okkulten Weltmodellen eigen ist. Solche Modelle verfügen in der Regel sowohl über eine theoretische als auch über eine praktische Dimension. Ihre Anhänger sollen die Welt nicht nur deutend erfassen, sondern sich ihrer vor allem durch Handeln nähern. So impliziert die Theosophie den sogenannten Einweihungsweg. Dabei geht sie von der Option aus, daß jeder Mensch über in sich verborgene geistige Kräfte und Fähigkeiten verfügt, deren Entwicklung ihm tiefere Einsichten in die noch nicht entdeckten Naturgeheimnisse bescheren könnte. Den aussichtsreichsten Weg dahin sieht Blavatskaja in einer stufenweisen Einweihung, wie sie in der Antike in verschiedenen Mysterienschulen zelebriert wurde und die mit praktischen Leibesübungen und dem Erwerb von Erfahrungswissen verbunden war. Der diesen Weg beschreitende Schüler bedarf dann in der Regel auch des spirituellen Führers.

Die praktische Seite der Theosophie sieht für die Initiation verschiedene Reinigungsrituale, vegetarische Nahrung, Meditation u. a. vor. Ziel ist vor allem die moralische Läuterung, die allein es ermögliche, Magie auszuüben. Diese stellt für Blavatskaja eine Art praktische okkulte Wissenschaft dar.

Theosophie vertritt also das für okkulte Weltmodelle typische Konzept der Verbindung von theoretischer Erkenntnis und praktischer Erfahrung. Die Spekulationen um die andere Welt sollen durch direktes Schauen und vorsichtige Manipulation und Transformation ergänzt werden.

Die Quellen, aus denen die Theosophie für ihre Thesen schöpfte, sind insgesamt vielfältig und unterschiedlich: Neben dem Neuplatonismus standen Kabbala, Gnosis, Hinduismus, Buddhismus, Überlieferungen antiker Mysterienkulte und französischer Okkultismus Pate, wobei den östlichen Denksystemen eine zentrale Stellung zukommt.



III.

Blavatskajas theosophisches System erfreute sich in unterschiedlichen Kreisen der russischen Intelligencija Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer wachsenden Aufmerksamkeit. Gründe für dieses Interesse bei Künstlern, Literaten und Philosophen lassen sich unschwer aus dem oben gegebenen kurzen Überblick über Grundzüge und -bestandteile dieses Denksystem entnehmen. Das Bestreben, neue Zukunftsperspektiven zu erarbeiten, erwuchs aus der sich im gesamten Europa des Jahrhundertbeginns ausbreitenden Krisensituation. Wirtschaftliche Schwierigkeiten, der nahende Weltkrieg, Regierungskrise und sich mit Umsturzgedanken tragende Gruppierungen erschütterten Rußland in gesellschaftlicher und geistiger Hinsicht. Eine allgemeine Katastrophenstimmung breitete sich aus, in der die Suche nach Rettung zu einem konstituierenden Lebensbestandteil vieler Intellektueller wurde. Dabei war man verstärkt bemüht, sich mit Fragen der Erkenntnis des eigenen "Ich" und der neu zu bestimmenden Beziehung zu Gott zu beschäftigen. Diese verstärkte geistige Suche führte zu einem kulturellen Aufschwung, der fast alle Gebiete umfaßte: Literatur, Malerei, Musik, Theater, Philosophie. In dem Bemühen, weitere die eigene Sehnsucht befriedigende Ergebnisse zu finden, orientierte man sich nicht mehr nur an dem seit der Aufklärung die europäische Geistesgeschichte vor allem prägenden Rationalismus. Dieser hatte wenigstens im Verständnis vieler Schriftsteller und Philosophen zu einer Atomisierung und Zerstückelung von Denken und Gesellschaft geführt.

Auch die bis dahin als sinnstiftend betrachtete christliche Kirche verlor zumindest als Institution für viele Intellektuelle den Stellenwert, Träger geistiger und gesellschaftlicher Erneuerung sein zu können.

So lieferte das theosophische Welterklärungsmodell Grundlagen für die Entwicklung eigener Visionen, die nicht mehr an festgeschriebene Tradition gebunden waren, sondern den Menschen als freien Schöpfer seiner selbst sahen. Die Theosophie bot auch Ansätze für die die Jahrhundertwende prägende Suche nach dem "neuen Menschen".

Denjenigen, die der Kirche als Institution den Rücken kehren wollten, ohne in einen Atheismus verfallen zu müssen, bot sie die Möglichkeit, weiter an ein göttliches Prinzip zu glauben, ohne sich dem Dogmatismus einer bestimmten Religion beugen zu müssen. Der Mensch konnte sich in einer Unsicherheit verbreitenden Krisensituation in ein nach festen Gesetzmäßigkeiten strukturiertes System eingebunden wähnen. Die apokalyptische Endzeitstimmung wurde gemildert durch eine Kosmogonie, die einen Weltuntergang nicht vorsah und jeden Umbruch als einen gesetzmäßigen Schritt in eine bessere Zukunft verstand. Der sich in der neuen Zeit oft einsam fühlende Mensch sah sich nun von einer Schar ihm potentiell helfender Wesen umgeben, die ihm in jeder Lage sicher, wenn auch nicht sichtbar zur Seite stehen konnten.

Für Anhänger eines streng wissenschaftlichen Weltbildes suggerierte sie die Möglichkeit, in die Welt des "Unerklärlichen" und "Übernatürlichen" mit Hilfe geisteswissenschaftlicher Methoden eindringen zu können.

Die Kosmogonie der Theosophie lieferte schließlich auch die Grundlage für die Stärkung des Glaubens an eine russische Mission, und man fand sie bei einigen Denkern in Thesen zur russischen Seele eingebunden. Auch die in der russischen Intelligencija vorhandene Erwartung eines neuen goldenen Zeitalters wurde unterstützt.

Die Theosophie war aufgrund ihrer praktischen Dimension besonders für die handlungsorientierte russische Intelligencija interessant. Von ihr gingen auch Impulse zur Frauenemanzipation aus. In der Theosophischen Gesellschaft finden wir oft Frauen in führenden Positionen. Da die theosophische Ideologie die Gleichstellung beider Geschlechter unterstützt, gibt es für die weibliche Kreativität keine von vornherein festgelegten Beschränkungen. Blavatskaja nimmt oft zur Rolle der Frau in der Gesellschaft Stellung und fordert deren Aufwertung.

Rezeption und Diskussion der Theosophie Blavatskajas erfolgte im Rußland Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf verschiedenen Ebenen und auf unterschiedliche Art und Weise. Den Drang nach Visionen schien die Theosophie, aufgrund ihrer relativen Geschlossenheit, wenigstens auf den ersten Blick sehr gut befriedigen zu können. Sie wurde damit in Europa und etwas verspätet auch in Rußland zu einer wichtigen Instanz, die die geistige Landschaft nachhaltiger beeinflußte, als bisher beschrieben wurde. In Rußland bildeten sich schon lange vor der Gründung der "Rossijskoe Teosofičeskoe Obščestvo" (1908) kleinere theosophische Gesprächskreise heraus, die eine ähnliche Wirkung auf das geistig-kulturelle Leben hatten wie die literarischen Salons im 18. und 19. Jahrhundert. Spätestens nach der Gründung der "Russischen Theosophischen Gesellschaft" gab es dann theosophische Zirkel bzw. Sektionen nicht nur in den Zentren Moskau und Petersburg, sondern auch in der Provinz, z. B. in Kaluga, Jalta, Rostov am Don, Riga, Poltava, Jaroslavl', Kiev.

Theosophische Ideen wurden vor allem durch die Zeitschriften "Rebus", "Vestnik Teosofii" und "Izida" verbreitet. Es existierten eine ganze Reihe von Verlagen, die auf den Vertrieb theosophischer Literatur spezialisiert waren, zum Beispiel: N. Gudkov, N. A. Šejermans "Trud", I. F. Naživins Verlag "Zelenaja paločka" u. a.

Diese öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten trugen auch sehr bald Früchte, so daß wir im Rußland der Jahrhundertwende mit einer Reihe von Künstlern, Philosophen und Literaten konfrontiert werden, die sich intensiv mit dem Phänomen Theosophie auseinandersetzten, sogar davon beeinflußt wurden oder sich zuerst dafür interessierten, dann scharf mit ihr polemisierten oder aber schließlich gar zu Nachfolgern und Apologeten E. P. Blavatskajas und ihrer Lehre wurden. Dabei reicht der Beginn der Rezeption theosophischer Schriften bei Vertretern des russischen Geisteslebens bis ins 19. Jahrhundert zurück.

Der "Altmeister des Realismus" in Rußland, Lev N. Tolstoj, war zum Beispiel eine Zeitlang Abonnent verschiedener theosophischer Zeitschriften. Er las darüber hinaus buddhistische Schriften, deren Übersetzungen unter maßgeblicher Beteiligung der Theosophischen Gesellschaft zustande kamen und interessierte sich nachweislich auch für die Werke E. P. Blavatskajas. Aus ihrem Buch "The Voice of the Silence" ("Die Stimme der Stille"; 1889) übernahm Tolstoj einige Aphorismen in seinen Sammelband "Na každyj den'" ("Für jeden Tag"). Obwohl er auch mit führenden russischen Theosophen bekannt war, blieb seine Haltung gegenüber der theosophischen Lehre bis zuletzt distanziert kritisch.

Eine ähnlich kritische Haltung zur Theosophie Blavatskajas, die sich auch sehr deutlich in seinen Schriften niederschlug, finden wir beim Philosophen Vladimir S. Solov'ev vor. Der Philosoph äußerte sich das erste Mal in einer Rezension zu Blavatskajas "Key to Theosophy" (1889) zu ihrer Lehre und später in einem Aufsatz für S. A. Vengerovs Schriftstellerlexikon. Solov'ev kritisiert hier sowohl Ausgangspunkte des theosophischen Konzepts als auch die Darstellungsweise und Teile konkreter Werke, wobei er sich besonders mit dem unklaren Gottesbegriff der Theosophie auseinandersetzt. Blavatskaja selbst hat Solov'evs Rezension ihres "Key to Theosophy" gelesen und sich in einem umfangreichen Schreiben darüber geäußert, das in Rußland bisher nicht veröffentlicht wurde. Die Entfaltung der Polemik blieb so der Fachwelt größtenteils verborgen. In Solov'evs philosophischem System spielt die Auseinandersetzung mit dem "Osten" eine bedeutende Rolle, die sich in einer verschlüsselten Polemik mit E. P. Blavatskaja in seinem "Povest' ob Antichriste" ("Erzählung über den Antichristen"; 1899) niederschlug. Auch der Philosoph Nikolaj A. Berdjaev kam mit Blavatskajas Theosophie in Berührung. Die für sein Leben in dieser Hinsicht aufschlußreichen Begegnungen beschreibt er in seiner philosophischen Autobiographie "Samopoznanie" ("Selbsterkenntnis"; veröff. 1949). Im Jahre 1916 widmete er einen umfangreicheren Aufsatz der Thematik, der unter dem Titel "Teosofija i Antroposofija v Rossii" ("Theosophie und Anthroposophie in Rußland") erschien und 1991 wiederaufgelegt wurde. Berdjaev versucht eine Einordnung des Phänomens "Theosophie" in einen philosophischen Kontext und konstatiert erste Unterscheidungsmerkmale zwischen Theosophie und Anthroposophie.

Ganz im Zeichen theosophischer Theorien beginnt der russische Philosoph und Mystiker Petr D. Uspenskij seinen Werdegang. Der später die Ideen G. I. Gurdžievs favorisierende Uspenskij bemühte sich gerade in seinen Frühwerken um die von der Theosophie so nachhaltig proklamierte Vereinigung von Philosophie und Wissenschaft, wobei er E. P. Blavatskajas Arbeiten häufig zitiert.

Direkt rezipiert oder durch das Prisma philosophischer Systeme vermittelt, breitete sich die Theosophie in Rußland zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr und mehr aus. Sehr wirkungsvolle Inspiratoren für die Auseinandersetzung mit der Theosophie waren die sogenannten "Literaten der zweiten Garnitur" aufgrund ihrer Massenwirksamkeit. Dazu gehören die Schriftstellerin Vera I. Kryžanovskaja, die derart von der Exotik und dem Geheimnisvollen der Ideen Blavatskajas fasziniert war, daß sie mehrere Romane in diesem Kontext schrieb. Weiter ist zu nennen Blavatskajas Schwester, die Kinderbuchautorin Vera P. Želichovskaja, die unter anderem spezielle Werke über ihre Schwester veröffentlichte.

Eine besonders wichtige Rolle spielte der Romancier Vsevolod S. Solov'ev (Bruder des Philosophen V. S. Solov'ev), der mit E. P. Blavatskaja persönlich bekannt war, von 1884 - 1886 Mitglied der "Theosophischen Gesellschaft" wurde und 1893 eine Artikelserie über diese Zeit unter dem Titel "Sovremennaja žrica Izidy" ("Eine moderne Priesterin der Isis") veröffentlichte.

Eine neue Dimension der Rezeption erfuhr die Theosophie durch den russischen Symbolismus. Die Breite des Wirkungsimpulses hängt sicher damit zusammen, daß das Weltbild im russischen Symbolismus mehr als bei anderen literarischen Richtungen zu einem Faktor literaturwissenschaftlicher Relevanz wird, "da das Weltbild in diesem besonderen Fall die Vielfalt der künstlerischen Bildsymbole generiert." Gerade die Konzipierung eines neuen Weltverständnisses wurde ja auch von der theosophischen Lehre angestrebt, wobei alle Seiten menschlicher Interessen (von der kosmischen bis zur menschlichen Evolution) abgedeckt werden sollten. Der Symbolismus mußte sich seine Bilderwelt erst erschaffen und stieß bei der Suche nach brauchbaren Mustern auch auf die Theosophie.

Natürlich war aber die Theosophie nicht die einzige Theorie, die Rußlands "Silbernes Zeitalter" beeinflußte. So gab es eine Reihe von Schriftstellern, die für kurze Zeit mit der Theosophie "flirteten", sie aber bald wieder aufgaben wie Vjačeslav I. Ivanov, Aleksej M. Remizov, Valerij Ja. Brjusov. Es gab von Anfang an mit der Theosophie polemisierende Autoren wie Dmitrij S. Merežkovskij und Zinaida N. Gippius. Mancher Autor schloß sich sofort Steiners Anthroposophie an, ohne den Umweg über Blavatskajas Theosophie zu nehmen, wie der Dichter und Übersetzer Lev L. Kobylinskij-Ellis. Es gab Theosophen, die sich selbst gelegentlich in literarischen Formen versuchten, um die Lehre zu verbreiten, wie der Übersetzer Pavel Batjuškov.

Aber unter den Symbolisten gab es auch "committed Theosophists, such as Konstantin Bal'mont, Nikolai Minskii, Max Voloshin, and Andrei Belyi …" Dabei gingen A. Belyj und M. Vološin später auf die Positionen der Anthroposophie über, waren aber gerade dadurch gezwungen, die Auseinandersetzung mit der Theosophie ein Leben lang fortzusetzen.

Neben Philosophen und Dichtern inspirierte die Theosophie Blavatskajas schließlich auch die Künstlerwelt. Gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Künstlerkreisen ein starkes Bestreben, Phänomene in der Malerei nachempfindbar zu machen, die sich den normalen Wahrnehmungsmöglichkeiten des menschlichen Auges entzogen. Mit Interesse wurden deshalb Theorien verfolgt, die sich auf die sogenannte vierte Dimension als einer höheren nichtsichtbaren Dimension des Raumes bezogen, und man war bestrebt, diese in der Kunst wenigstens nacherlebbar zu machen. Theosophische Vorstellungen vom Äther, vom Astrallicht oder von der Aura des Menschen stimulierten die Suche nach Möglichkeiten ihrer Darstellung. Dem Anspruch der Theosophie folgend, die im Menschen verborgenen noch unsichtbaren Energien und Kräfte zu visualisieren, experimentierte man mit der Darstellung von Gedankenformen oder versuchte, selbst zur Entfesselung geistiger Kräfte beizutragen, indem man Kunstwerke schuf, die in der Seele des Betrachters einen bestimmten Klang oder angenehme Schwingungen erzeugen sollten. So wurden theosophische Konzeptionen im Schaffen russischer Künstler-Avantgardisten wie Vasilij V. Kandinskij, Kazimir S. Malevič, Pavel N. Filonov, Michail F. Larionov umgedeutet. Sie versuchten, auf der Grundlage theosophischer Ideen ihre eigenen künstlerischen Systeme weiterzuentwickeln und damit neue Konzepte in bezug auf die Aufgaben der Kunst, den Schaffensprozeß und für die Rezeption von Kunst zu schaffen. Dabei ist allerdings anzumerken, daß sich einige von ihnen ebenfalls im Spannungsfeld von Theosophie und Anthroposophie befanden, da Rudolf Steiner im Gegensatz zu E. P. Blavatskaja eine eigene Kunsttheorie entwickelte.

Eine Sonderstellung nimmt hier Nikolaj K. Rerich ein, der sich als direkter Schüler und Nachfolger E. P. Blavatskajas sah. Er folgte ihr nicht nur geistig, sondern "wandelte" auch praktisch auf ihren Spuren, indem er den Osten, vor allem Tibet, bereiste, auf der Suche nach dem sagenhaften Schambala und den dort angeblich ansässigen Mahatmas. Die theosophische Lehre visualisierte er nicht nur in seinen Bildern, sondern auch in Gedichten, literatur- und kunstkritischen Aufsätzen und philosophischen Essays. Dabei wurde er unterstützt durch seine Frau, Elena I. Rerich, die ebenfalls Blavatskajas Lehre für ihre eigenen Schriften zum Vorbild nahm.

Um das Bild abzurunden, sei noch erwähnt, daß sowohl der Schauspieler Michail A. Čechov, als auch der Komponist Alexander N. Skrjabin eine theosophische Phase im Leben durchliefen.

Das Interesse an der Theosophie erfährt in letzter Zeit nach einer Pause von über einem halben Jahrhundert sowohl in Westeuropa als auch in Rußland eine Renaissance.

Dieses Interesse hängt sicher mit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation zusammen, die durch eine Sinnkrise gekennzeichnet ist, die sich vor allem auf die Länder des ehemaligen Ostblocks erstreckt, aber auch das westliche System nicht verschont. Das "Okkulte" ist in Mode und äußert sich nicht nur in den Machenschaften zwielichtiger Sekten, sondern auch in einer Wiederbelebung der den Jahrhundertbeginn prägenden "neuen Lehren", zu denen eben auch die Theosophie E. P. Blavatskajas gehört.

Das Interesse an der New-Age-Bewegung, zu dessen Vorläufern auch die Theosophie gerechnet wird, schwappt gegenwärtig mit fast dreißigjähriger Verspätung nach Rußland über. Gerade hier sind die Erfahrungen und Problemlagen denen zur Zeit der Entstehung der Theosophie sehr ähnlich. Diese Situation führt zu "einem gewaltigen Schub an 'Entmodernisierung des Bewußtseins', mit Interesse an archaischen, magischen und okkulten Praktiken …" Nicht nur für Rußland, sondern für die gesamte westliche Welt ist dabei der Versuch kennzeichnend, diese Ideen auch mit den Naturwissenschaften zu verbinden, was zu monistischen Theorien in der Naturwissenschaft führt (Capra, Wilber,). Ziel ist dabei die Entwicklung einer wissenschaftlichen Vorstellung von Gott und die Vereinigung aller Religionen, was ja bereits im 19. Jahrhundert erklärtes Ziel der theosophischen Gesellschaft war.

Die Reaktionen auf diese Entwicklungen sind unterschiedlich. Sie führen im schlimmsten Fall zu einer Hysterie, die vor allem durch Uninformiertheit zustande kommt. Die Unsicherheit im Umgang mit Theosophie oder anderen okkulten Welterklärungsmodellen entspricht dem, was Helmut Seemann für die traditionelle Betrachtung des Problems "Okkultismus und Avantgarde" beschreibt:

"Die Glaubenssätze einer kritisch-informierten Gesellschaft nisten im Wurzelwerk summarischer Dichotomien. Danach marschierten im Zeichen der Avantgarde … die intellektuell Offenen, dem Fortschritt und der Rationalität zugewandten, letztlich der Aufklärung Verpflichteten; während der Okkultismus eine versprengte Schar esoterischer Dunkelmänner und -frauen, religiös inspirierte Aussteiger und all jene unter seinem dubiosen Dach vereinte, die der industriellen und (natur-) wissenschaftlichen Revolution des 19. Jahrhunderts nicht gewachsen waren."

Ein weiterer Indikator für die Aktualität der Auseinandersetzung mit der Theosophie liegt im Umstand begründet, daß sich die zur Zeit des Sozialismus in Rußland verbotene "Rossijskoe Teosofičeskoe Obščestvo" im Jahre 1991 neu gründete und seitdem Aktivitäten auf den verschiedensten Gebieten entwickelt. So wurden zu Ehren des 100. Todestages E. P. Blavatskajas zahlreiche Vorträge gehalten und Ausstellungen organisiert, die eine breite Öffentlichkeit erreichen sollten. Es erscheinen theosophische Zeitschriften "Vestnik Teosofii", "Septima". Theosophische Werke, vor allem natürlich die Schriften E. P. Blavatskajas, werden in eigenen Verlagen publiziert. In Moskau gibt es sogar einen eigenen Lesesaal für theosophische Literatur (DK "ZIL").

In Deutschland ist z. B. der Theosoph Frank Reitemeyer um die Wiedererschaffung eines "Theosophischen Zentralarchivs" bemüht, das zu einer soliden Basis für spätere Forschungen zur Geschichte der Theosophie, vor allem in den Kriegsjahren, werden soll.

Allerdings haben diese Aktivitäten noch keine nennenswerte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Theosophie Blavatskajas hervorgerufen. Dies mag daran liegen, daß es bisher kaum allgemein akzeptierte Grundlagen für einen Umgang mit okkulten Weltmodellen, wie sie die Theosophie darstellt, gibt.

Ein weiteres Defizit besteht darin, daß man Blavatskaja zwar als Denkerin wahrnimmt, aber ihr literarisches Erbe (Prosa und Reiseberichte) auch seitens der Theosophen selbst nur als Marginalien ihres umfangreichen Schaffens ansieht.



  

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