Von der Heiligen zur Hexe
Von der Heiligen zur Hexe. Frauengestalten in den Werken von Vsevolod S. Solov'ev. *
In: Anzeiger für Slavische Philologie, Band XXV, Graz/Austria 1998
Die Untersuchungen der Werke Vsevolod S. Solov'evs (1849 - 1903) stellen ein Desiderat russistischer Forschung dar. Dabei war er im 19. Jahrhundert als Verfasser historischer Romane hinlänglich bekannt.
Der Autor ist schon allein aus kulturhistorischer Sicht deshalb interessant, weil er zur bekannten und produktiven Solov'ev-Familie gehörte. Sein Schaffen ist geprägt von einem starken Interesse an verschiedenen Weiblichkeitsentwürfen, das sich in der ständigen literarischen Suche nach dem idealen Frauentyp niederschlug. In zahlreichen seinern Romanen figurieren Frauen als Handlungsträger., Sie verkörpern sie bestimmte Ideale des Autors, die teilweise sogar mit dem Sophia-Ideal seines Bruders Vladimir Solov'ev korrespondieren.
Wichtig ist Vsevolod Solov'evs Schaffen auch noch unter einem weiteren kulturhistorischen Aspekt. Er ist Verfassergilt als der einzige Verfasser einer ausführlichen russischen Dokumentation über die Gründerin der "Theosophischen Gesellschaft" - E. P. Blavatskaja (1831 - 1891). Solov'evs Buch "Sovremennaja žrica Izidy. Moe znakomstvo s E. P. Blavatskoj i 'teosofičeskim obščestvom'" (1893) beeinflußte nachhaltig die öffentliche Meinung in Rußland zuungunsten Blavatskajas.
Sind es in seinen historischen Romanen vor allem positive Frauenbilder, die gestaltet werden, schafft er in diesem, dem letzten, ausschließlich einer Frau gewidmeten Buch, ein gänzlich negatives Bildden absoluten Negativentwurf einer Frau. Meine These ist, daß wir es hier nicht mit einer objektiven Beschreibung zu tun haben. Es handelt sich vielmehr um eine zwar formal stilistisch der Dokumentation angeglichene, im Grunde jedoch literarisch-künstlerische Abrechnung mit dem bis zu diesem Zeitpunkt vom Autor propagierten Weiblichkeitsideales sich hierbei weniger um eine objektive Beschreibung, sondern um eine zwar formal stilistisch der Dokumentation angeglichene, im Grunde jedoch literarisch-künstlerische Abrechnung mit dem bis zu diesem Zeitpunkt vom Autor propagierten Weiblichkeitsideal handelt.
Frauen, die ihm nur in historischen Quellen bzw. seiner Phantasie zugänglich sind,Die ihm nur in historischen Quellen bzw. seiner Phantasie zugänglichen Frauen idealisiert er. Die einzige Beschreibung einer ihm persönlichdirekt bekannten Frau aus Fleisch und Blut gerät zum absoluten GegenidealNegativbild. Vielleicht rief die konkrete Begegnung mit einer überlegenen, außergewöhnlichen, gesellschaftliche Normen überschreitenden Frau bei ihm Angstgefühle hervor, die wiederumist es der Schrecken vor dem zu Fleisch gewordenen, ihm als konkrete Person gegenübertretenden Beispiel einer weiblichen Außerordentlichkeit, derdie eine Kollision zwischen Ideal und Wirklichkeit in seinem Bewußtsein bedingtenhervorruft. Gewissermaßen nimmt Solov'ev damit eine Problematik vorweg, die später vor allem die Symbolisten beschäftigte, die einen Kult der „schönen Dame“ zelebrierten und dabei vom Kult der "schönen Dame" träumend, mit den realen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts oft nur schlecht zurechtkamen.
Solov'ev startet seine literarische Karriere im Jahre 1875 mit Publikationen, als er beginnt, in der Zeitschrift "Niva" mitzuarbeiten. Hier veröffentlicht er seinen ersten historischen Roman: "Knjažna Ostrožskaja" (1876). Darauf folgen weitere. Am Ende seines Lebens umfaßt Vs. Solov'evs Oeuvre eine stattliche Anzahl von Werken. Zu den bekanntesten gehören: "Junyj imperator" (1877), "Kapitan grenaderskoj roty" (1878), "Car'-devica" (1878), "Kasimovskaja nevesta" (1879), "Navaždenie" (1879), "Sergej Gorbatov" (1881), "Vol'terjanec" (1882), "Staryj dom" (1883), "Izgnannik" (1885), "Poslednie Gorbatovy" (1886), "Volchvy" (1888) "Velikij Rozenkrejcer" (1889), "Zlye vichri" (1883); "Cvety bezdny" (1895). Mit der vorliegenden Untersuchung soll auch dem Umstand Rechnung getragen werden, daß es Iin den letzten Jahren hat es zahlreiche Neuauflagen dieser Werke Vsevolod S. Solov'evs gegebengab.
Die Mehrzahl der Solov'evschen literarischen Helden ist historisch belegt, auch wenn sie den Verfassern der Chroniken des russischen Reiches, wie er selbst feststellt, oft nur einen Nebensatz wert waren. Charakteristisch für Vsevolod Solov'evs Schaffen ist, daß er auch dem Leben der eher zweitrangigen historischen Akteure Beachtung schenkt. Besonderes Interesse rufen dabei immer wieder weibliche Schicksale hervor. Die reale historische Frau wird aber idealisiert, verklärt und hebt sich damit meistens eindeutig vom übrigen Figurenensemble ab. Eine historische Beschreibung findet bei diesen Frauengestalten damit meistens nicht statt, sondern Eer literarisiert dass erfolgt eine Literarisierung des historischen Materials. Es wird eine zweite Erzählebene in den Romanen geschaffen, die auch formal vom sonst vorherrschenden dokumentarischen Stil abweicht. Solov'evs ideale Frauengestalten erzeugen ihreschaffen sich ihre eigene Welt innerhalb der historischen Wirklichkeit, die teilweise ihren eigenen Gesetzen folgt.
Die Frauengestalten Solov'evs entwickeln sich zu bestimmten Stereotypen. Es entstehen bestimmten Stereotypen entsprechende Frauengestalten, die im folgenden näher klassifiziert werden sollen. Zwar kommen die Frauentypen, die hier beschrieben werden, in mehr oder weniger komplizierten Beziehungsgeflechten in all seinen Werken vor, aber es gibt einzelne Romane, die von einem bestimmten Typ dominiert werden. Wir werden in Solov'evs Romanen mit 3 Gruppen von idealen Frauengestalten konfrontiert, die jeweils unter einem bestimmten Aspekt der Betrachtung beschrieben sind. So finden wir weibliche Typen, die märchenhaft-phantastische Züge tragen. Sie gleichen den Frauen und Mädchen der russischen Folklore und werden auch mit den entsprechenden Attributen ausgestattet. Zu dieser Gruppe gehören: "die verwunschene Prinzessin" und "die kluge Bauerntochter". Ein zweiter Aspekt unter dem Solov'ev seine Protagonistinnen betrachtet, ist der romantisch-religiöse. Hier sind besonders dieder Typ der "heiligen Jungfrau" und dieder "Märtyrerin" relevant. Der dritte Aspekt ist der politische, wobei ich betonen will, daß es sich auch hier nicht um eine historisch-dokumentarische Darstellung handelt, sondern um die aufklärerischen Vorstellungen angepaßte Suche nach der "idealen Herrscherin".
Solov'evs in Gestalt der Blavatskaja angelegtern Gegenentwurf zu einems Weiblichkeitsideals, wirdmöchte ich unter dem Typ "Hexe" zugeordnetsammenfassen.Mit Solov'evs Frauenidealen kontrastiert das absolute weibliche Negativbild, das ich unter dem Typ "Hexe" zusammenfassen will, und das in der literarischen Gestaltung der E. P. Blavatskaja zu einer Apotheose des Negativ-Weiblichen generiert.
Wenden wir uns nun den einzelnen Frauentypen zu und beginnenMeine Analyse beginnt mit den mit der Analyse der aus der märchenhaft-phantastischen Perspektive beschriebenen Heldinnen beginnen. DerDabei finden wir den Typ der "verwunschenen Prinzessin" tritt besonders deutlichvor allem in Solov'evs Roman "Kasimovskaja nevesta" hervor präsentiert. Die Handlung des Romans führt uns nach Rußland ins Jahr 1646. Der junge Zar Aleksej Michajlovič beschließt zu heiraten und sendet Boten im ganzen Land aus, um die schönsten adligen Mädchen im heiratsfähigen Alter nach Moskau bringen zu lassen. In den Mittelpunkt des Geschehens tritt schon bald die junge Adelige Evfimija (genannt Fima), die jüngste Tochter des Raf Rodionovič Vsevolodskij. Wie bei einer Märchenprinzessin üblich, ist vor allemnatürlich Fimas Schönheit im gesamten Umkreisüberall bekannt: "... - molva o krasote dočki Rafa Rodionoviča razneslas' daleko; stariki govorili, čto i ne pomnjat takoj krasoty. ... Každomu bylo ljubo gljadet' na lico ee, beloe da rumjanoe, večno ozarennoe bezzabotnoj ulybkoj, každomu kak-to svetlee na duše stanovilos' ot vzgljada ee glaz, glubokich i nežnich, okajmlennych dlinnymi, temnymi resnicami." Auch weitere Persönlichkeitsmerkmale entsprechen den für Märchen üblichen Stereotypen. FimaSie ist rein, fröhlich und zu jedermann voller Liebe und Barmherzigkeit. Ihre Haare sind rotblond ("svetlo-rusye") im Prinzip also golden. Die Märchenweltmärchenhafte Ebene, in der Fima agiert, wird ständig als solche charakterisiert.vom Autor zusätzlich noch dadurch akzentuiert, Historische Bezüge werden dabei oft nivelliert. Es wirddaß immer wieder darauf verwiesen wird, daß sie als Kind gern Märchen hörte und die Natur sich, wenn sie sich an diese Erzählungenderer erinnert, auf phantastische Weise verändert. Die Erzählebene wechselt, sobald es um Fima geht, von der historisch-dokumentarischen zur märchenhaft-phantastischen. SoIm Zusammenhang mit der Beschreibung Fimas wird auch eine besondere Zeit- und Raumsituation geschaffen, die aus dem historischenübrigen Rahmen herausfällt.
Fima wird von den Boten des Zaren in die Liste der Mädchen aufgenommen, die nach Moskau beordert werden. Ihre Amme Pafnut'evna verwandelt sie daraufhin in Gedanken in eine Märchenprinzessin, die vom Zaren sofort als die ihm vom Schicksal bestimmte Braut erkannt und erwählt wird. Die mit der russischen Folklore vertraute Amme schafft auch stilistisch eine Märchensituation: "Kak priedut oni v Moskvu, obrjadjat Fimu, povezut k gosudarju, a on, batjuška vyjdet v zolotoj odežde, aki solnyško nebesnoe, gljanet napravo, gljanet nalevo - uvidit Fimu, podojdet k nej, voz'met za ručku beluju i skažet gromkim golosom takovo slovo: 'Vot ona, moja nevesta, vot moja krasavica.'"
Tatsächlich vollzieht sich dann die Brautwahlsituation ähnlich wie in diesem Entwurf vorweggenommen. Der Zar und Fima sehen sich, und beiden ist sofort klar, daß sie füreinander bestimmt sind. Fima wird als Zarenbraut ausgewählt.
Natürlich taucht auch hier das für Märchensituationen obligatorische Böse in Gestalt des Räubers Osina auf, der als Erzfeind Vsevolodskijs dessen Tochter den Erfolg nicht gönnt. Osina begibt sich zu einem Zauberer, der verspricht, die bevorstehende Verlobungsfeier zwischen Zar und Fima zu vereiteln. Dieser Zauberer wird allerdings nicht direkt in die Märchensituation um Fima eingebunden. Der Zauberer verfügt eigentlich über keine magischen Kräfte. Seine Erfolge beruhen einzig und allein auf seinen rationalen Fähigkeiten. ErDer Zauberer kann nur auf der realen Ebene handeln. Die Ergebnisse seiner Aktivitäten tragen schließlich dazu bei, FimaDoch seine Handlungen greifen später in die Märchenebene um Fima ein, wo sie dieselbe in die Märchensituation der "verwunschenen Prinzessin" zu versetzen. Der Zauberer hatverfügt über gute Verbindungen zum Hof, kennt dort eine im "terem" tätige Dame (Manka Charitonova), die für Geld zu allen Diensten bereit ist und verspricht, ihm zu helfen.
Es kommt schließlich zu den Vorbereitungen für die Verlobungsfeier. Man will Fima die Haare richten und fragt, wer sich am besten darauf versteht. Manka Charitonova nimmt sich der Aufgabe an. Sie zieht die Haare derartig straff, daß Fima Schwindel und Kopfschmerz befallen. Es ist die typische Märchensituation der "Verzauberung" durch Einwirken auf die Haare. Das Haar, das den Sitz der Lebenskraft symbolisiert, ist in den Märchen traditioneller Angriffspunkt böser Mächte auf das Gute. Tatsächlich hält Fima die Schmerzen, die durch die Krone, die man ihr aufsetzt, noch verstärkt werden, nicht aus. Als sie zum Zaren geführt werden soll, fällt sie in Ohnmacht. Die Verzauberung ist perfekt. Danach vollziehen sich um sie herum und mit ihr plötzlich völlig reale Geschehnisse. Man erklärt sie für krank und damit ist sie als Zarin untauglich. Dann wird sie zusammen mit ihrer gesamten Familie nach Sibirien verbannt. Die Verwünschung endet praktisch mit dem Ausschluß Fimas aus der Märchenwelt. Jedoch bleiben bei ihr zwei Konstanten des Solov'evschen Weiblichkeitsideals erhalten. Sie heiratet nicht, bleibt also Jungfrau. Ihre wundersame Schönheit bleibt bis ins hohe Alter bestehen.
Schönheit ist laut Solov'ev bei einer Frau wichtig. Sie genügt bereits, um etwas Bbesonderes zu sein und, um sich von der übrigen Welt abzuheben und in andere Ebenen vorzudringen.
Der zweite märchenhaft determinierte Frauentyp ist die "kluge Bauerntochter". Als Beispiel soll hier Solov'evsseinIhre vollendete Darstellung gelingt Solov'ev im Roman "ženich carevny" betrachtet werden. Die konkrete historische Situation, in die wiederum märchenhaft phantastisches Geschehen eingebunden wurde, ist folgende: Der Sohn des Dänenkönigs Christian IV., Vol'demar, kommt um 1639 nach Rußland, um die Tochter des Zaren Michail Fedorovič, Irina, zu heiraten. Diese Absicht scheitert an dem Umstand, daß der Zar von Vol'demar verlangt, er müsse dafür den orthodoxen Glauben annehmen. Da Vol'demardieser sich weigert, platzen die Hochzeitspläne. Durch wundersame Verwicklungen aber führt Vol'demar eine Kammerjungfrau Irinas, die Waise Maša, als seine Partnerin heim. Über die Herkunft Mašas weiß keiner so recht Bescheid, bekannt ist nur, daß sie von sehr armen Eltern abstammt. Sie wurde auf Betreiben einer Bojarin, bei der sie im Dienst stand, im terem untergebracht. Maša ist schön, schlau, und mutig und. Sie stellt sich teilweise den festgefügten Regeln des terem entgegen. Ihr Denken und Handeln zeichnet ein hohes Maß an Selbständigkeit ausSie denkt und handelt selbständig. Im terem verdächtigt man sie der Zauberei (eine traditionell wichtige Eigenschaft der "klugen Bauerntochter" ist ihre Zauberkraft), deshalb muß sie fliehen. Nachdem sie mehrere Hindernisse überwunden hat, wird sie vom dänischen Königssohn in dessen Land geführt. Das Ende des Romans weist deutliche Parallelen zur russischen Legende "O Petre i Fevronii Muromskich" auf. Nach einem durch eine Intrige ausgelösten Umsturz in Dänemark müssen Vol'demar und Maša ins Ausland fliehen. Vol'demar beschließt, in den Krieg zu ziehen. Maša begleitet ihn in Männerkleidern. Sie sterben zur selben Stunde im Kugelregen.
Solov'evs Frauenideal konzentriert sich in diesem Fall auf die intellektuellen Kräfte der Protagonistin, die sich hier allerdings in lebenspraktischer Klugheit erschöpfen. Das wirklich "höhere" Wissen um die Welt und ihre Belange vermittelt ihr immer Vol'demar. Diese lebenspraktische Klugheit wird später in der Liebesbeziehung sogar weniger wichtig, relevant ist dann vor allem ihre aufopferungsvolle Liebe. Sie ist bereit, die bereit ist, für den Partner alles zu tun. Liebesfähigkeit ist damit ein weiteres zentrales Kennzeichen des Solov'evschen Frauenideals. In der Liebe zu Vol'demar erfülltschöpft sich der Sinn von Mašas Leben. Deshalb stirbt sie auch mit ihm.
Die vor allem unter romantisch-religiösem Aspekt beschriebenenreligiös dominierten Frauengestalten heben sich vom übrigen Figurenensemble vor allem durch herausragende persönliche Eigenschaften ab, die auf der religiösen Ebene wirksam werden. Wenden wir uns zuerst dem Typ der "heiligen Jungfrau" zu, die uns hier speziell als Retterin bzw. Erlöserin einer gefallenen Seele entgegentritt. Diesen Frauentyp finden wir vor allem in den Romanen "Volchvy" und "Velikij Rozenkrejcer" in Gestalt der Zina Kameneva verkörpert. Sie tritt zwar selbst nur periodisch in Erscheinung, aber die Wichtigkeit ihrer Mission wird durch die Rolle akzentuiert, die sie im Bewußtsein des männlichen Haupthelden, des Grafen Zachar'ev-Ovinov spielt. Letzterer ist Rosenkreuzer und hat bereits fast alle Stufen zur okkulten Beherrschung der Natur durchlaufen. Damit wird er zum designierten neuen Führer der Gemeinschaft. Aber Zachar'ev-Ovinov fühlt, daß ihm trotz seiner Erfolgeallem Erfolgs eines im Leben bisher versagt blieb - Glück. Mehr und mehr wird ihm bewußt, daß er zwar das Licht des Wissens verbreiten kann, es ihm aber nicht gelingt, menschliche Wärme zu erzeugenEr muß sich selbst eingestehen, daß er zwar Licht, allerdings ohne die dazugehörige Wärme verbreitet. Wärme und Liebe könnten ihm aber nur durch Glauben an Gott zuteil werden, in Vs. Solov'evs Vorstellung nur durch Gottesfürchtigkeit und Eingebundensein in die Glaubenswelt der orthodoxen Kirche zuteil werdendurch die Begegnung mit der Orthodoxie. Um das zu erreichenaber diese Begegnung wirklich fruchtbar werden zu lassen, bedarf es einer Frau, und diese Rolle übernimmt im Roman Zina Kameneva. Bei ihrem ersten Zusammentreffen erlebt Zachar'ev-Ovinov sie als Verkörperung der "heiligen Jungfrau" antiker Kulte. Zina Kameneva ist Absolventin des Smolnyj Instituts. Als bei einer Abschlußfeier antike Mysterien nachgestellt werden, schlüpft sie in die Rolle einer Vestalin, die dazu ausersehen wurde, den Tempel einzuweihen, und die dadurch ins Zentrum des Geschehens rückt. Wichtigstes Attribut ist auch hier die weibliche Schönheit: "Ona budto naročno byla sozdana, čtoby nosit' étu drevnjuju beluju tuniku. ... I chudožnik imenno izobrazil by ee vestalkoj, chranjaščej čistij ogon' celomudrija. V nej vyrazilos', chot', byt' možet, i bessoznatel'no polnoe toržestvo ducha nad materiej, no nad materiej ne bessil'noj, a mogučej, prekrasnoj, obladajuščej vsemi svoimi čarami ..." Als sie den Tempel symbolisch einweihen will, trifft ihr Blick mit dem des Grafen zusammen. Sie fällt in Ohnmacht. Die heidnische Jungfrau ist noch nicht in der Lage, der Kraft des Magiers zu widerstehen bzw. ihn zu erlösen. Er stellt für sie eine Gefahr dar. In der okkulten Literatur werden Magier oft als "Drachen der Weisheit" bezeichnet. Hier gibt es Parallelen zum Symbolfinden wir die klassische Situation des Drachens umspielt, der sich vom Blut der Jungfrauen nährt, um selbst ewig jung zu bleiben.
Zina muß zuerst den Weg christlich-religiöser Transformation beschreiten, ehe sie den Grafen erlösen kann. Dieser Weg bedeutet zuerst einmal Leid. In Zinas Armen stirbt ihre Konkurrentin um die Zuneigung Zachar'ev-Ovinovs, Elena Sonnenfeld,. der sie selbst freundschaftlich zugetan war. Die zweite Bewährungssituation ist die Ausübung tätiger Nächstenliebe. Unter Führung des Priesters otec Nikolaj lernt sie das Leid anderer Menschen kennen und lindern. Die eigentliche Transformation findet schließlich durch eine Art spirituelle Erleuchtung statt, die durch die Gespräche mit otec Nikolaj ausgelöst wird. Damit erschließt sie sich dendurchläuft sie die "Wiedergeburt" im christlichen Glauben, derdie es ihr schließlich ermöglicht, das höchste Gut christlicher Dogmatik - reine Liebe - zu empfinden. Solov'evs Anspruch an seine Heldin lautet hier: Erlösung durch Liebe. Mit Zinas Hilfe ist Zachar'ev-Ovinov schließlich auch dazu bereit, sich geistig mit den Lehren des otec Nikolaj auseinanderzusetzen, der ihm folgendes nahelegt: "Ljubi ee, poslannuju tebe Bogom podruga, čerez nee ty poljubiš' ves' mir, čerez nee ty uzriš' vse zabljuždeniuja čelovečeskoj gordosti."
Zachar'ev-Ovinov löst schließlich sogar den Rosenkreuzer-Orden auf. Dieser solle erst wiedererstehen, wenn alle Mitglieder den "chram spasenija" gefunden hätten. Das Licht der Erkenntnis muß dazu mit der göttlichen, wärmenden Liebe verbunden werden. Das Fazit des Erkenntnisprozesses lautet nun: "'Ljubov' vyše znanija', vnutrenne govoril sebe velikij rozenkrejcer, 'serdce vyše razuma.'"
Es lassen sich bei diesem Frauentyp sogar Parallelen zu Vladimir Solov'evs Sophia-Entwurf ausmachen. Die Weltseele erlöst die "niedrige" Natur bzw. Materie und führt sie zu höchsten geistigen Sphären. Die Frau ist bestimmungsgemäß mit dem Natürlichen und Materiellen verbunden. Der Mann verbindet sie mit Gott. Durch diese besondere Stellung ist es ihr möglich, die Welt zu erlösen. Selbst die äußeren Attribute der "heiligen Jungfrau" erinnern an Vladimir Solov'evs Sophia-Visionen.
Gerda Weiler beschreibt diesen Entwurf eines bestimmten traditionellen Frauenideals wie folgt: "Es wird völlig übersehen, daß der Mann die Frau gar nicht persönlich meint. Er sagt: 'Mein Himmel! Mein beß'res Ich!' Die Geliebte ist die Welt für ihn. Sie beflügelt ihn. Sie ist seine 'Sophia inspirata'. Durch sie erfährt er seine Progression und Steigerung. Sie ist die Muse, die ungeahnte Fähigkeiten im Manne zur schöpferischen Leistung entbindet. In ihrer höchsten Vollkommenheit erscheint die Geliebte dem Mann als die makellos Reine, als die jungfräuliche Madonna ... Als Seelenbild schwebt sie 'oberhalb' des körperlichen Erlebnisbereichs. Sie vermittelt ihm höchste Ekstase, führt ihn zum Gipfel des Lebens."
Ähnlich hohe Ansprüche stellt Vsevolod Solov'ev an den Frauentyp der "Märtyrerin", deutlich verkörpertpräsentiert im Roman "Knjažna Ostrožskaja" in der Gestalt der Elena Ostrožskaja, genannt Gal'ška. Diese ist orthodoxen Glaubens, während ihre Mutter, eine polnische Katholikin, sie mit Hilfe des Jesuitenpaters Antonio zum katholischen Glauben bekehren möchte. Gal'ška aber widerstehtmag diesem Ansinnen tapfer zu widerstehen. Wir haben es hier nicht mehr mit einer unberührten, noch jungfräulichen Seele zu tun, die sich dem christlichen Glauben in erster Regung unbewußter religiöser Sehnsucht öffnet und erst durch Lebenserfahrung geformt werden muß. Die für das Märtyrerdasein prädestinierte Person muß trotz ihrer Jugend bereits über eine starke Persönlichkeit und einen eisernen Willen verfügen. Sie hat nicht unbedingt die Aufgabe, andere durch aktives Handeln zu retten, sondern sie muß vor allem alle Leiden standhaft ertragen und so als nachahmungswürdiges Beispiel, durch ihre reine Existenz, wirksam werden und ins Bewußtsein ihrer Mitmenschen dringen.
Hauptkennzeichen von Gal'škas Lebenskampf sind die für das Märtyrertumium typischen: Einsamkeit und Leiden. Das Leiden aber wird durch den Glauben veredelt und führt zu absoluter Standhaftigkeit in ihrer Rechtgläubigkeit. Schließlich erfolgt ihre wundersame Rettung durch den rechtgläubigen Fürsten Sanguško, der sie heiratet. Auch Wunder gehören zum Schicksal des Märtyrers.
Auffällig für Vs. Solov'evs Schaffen ist, daß es bei ihm im Prinzip keine als Märtyrer stilisierten männlichen Gestalten gibt. Das Märtyrertumium ist für ihn Frauensache. Leidensfähigkeit ist aber für ihn eine entscheidende Eigenschaft der Frau schlechthin, die sich durch Passivität und seelische (nicht geistige) Stärke auszeichnet und oft auf ihre wundersame Rettung durch den männlichen Protagonisten angewiesen ist.
Zum Arsenal positiver Frauengestalten bei Vsevolod Solov'ev gehört auch der Typ der "Herrscherin". ErEs ist historisch determiniert, das heißt, Solov'ev versucht hier ein sehr genau an historischen Quellen orientiertes Frauenbild zu entwerfen, das deshalb auf den ersten Blick auch den Anforderungen an die BeschreibungDeskription einer historischen Persönlichkeit im historischen Roman entspricht. Diesen Frauentyp finden wir verkörpert in Gestalt der Sophia im Roman "Car'- devica", er kommt aber noch deutlicher in Gestalt Katharinas II. in Solov'evs Romanen "Velikij rozenkrejcer" und "Volchvy" zum Ausdruck.
In Bezug auf die Herrscherin fehlt das bisher stereotype Schönheitsideal Solov'evs. So wird Katharina weniger durch ihr Äußeres von der allgemeinen Masse abgehoben, als vielmehr durch ihre Taten. Der Autor bescheinigt ihr Verstand, Kühnheit und eisernen Willen. Er schildert ihre vielfältigen Aktivitäten als Politikerin, Administratorin und Schriftstellerin. Eines aber ist sie dabei nicht - Frau: "On podchodil k ženščine, a uvidel pered soboju imperatricu i v pervyjij raz ponjal, čto dejstvitel'no suščestvujut imperatricy." Die ideale Frau, der vom Schicksal bzw. von Gott die Aufgabe überantwortet wird, Herrscherin zu sein, muß damit automatisch auf bestimmte Attribute des weiblichen Ideals verzichten. Herrschen gehört nämlich ursprünglich nicht zu den von Solov'ev einer Frau zugestandenen Fähigkeiten. Die Herrscherin muß deshalb in jeder Hinsicht über der gemeinen Frau und dem gemeinen Mann stehen und verfügt daher über ein gewisses Maß an Androgynität. Verfehlungen, die sich männliche Herrscher bei Solov'ev durchaus erlauben können, darf sich die Imperatorinideale Herrscherin nicht leisten. Haben sie Fehler (wie Sophia) sind sie von vornherein zum scheitern verurteilt.
Das Frauenideal Vs. Solov'evs läßt sich wie folgt zusammenfassen.
Dieas zwar größtenteils historisch belegbarete Figurenensemble gedeiht in seinen weiblichen Protagonistinnen gedeihen zu Stereotypen, die ein bestimmtes an traditionelle Vorstellungen gebundenes Frauenideal verkörpern. Sie bilden um sich herum eine eigene ideale Welt, die nur scheinbar mit dem konkreten historischen Geschehen im Roman verbunden ist. Tatsächlich agieren sie aber auf einer völlig anderen Ebene. Da sie damit bestimmten Handlungsstereotypen unterworfen sind, ist auch ihr Eingreifen ins Romangeschehen oft von vornherein determiniert. Sie können nur soweit tätig werden, als es der für die einzelnen Frauenbilder typische Rahmen zuläßt. Die idealen Frauentypen sind rein und unberührt, meist von strahlender Schönheit. Sie sind in der Lage durch Liebe sich selbst oder den Partner zu erlösen. Die wahre Kraft dieser Heldinnen liegt in ihren unbewußten Seelenkräften. Andere Werkzeuge sind ihnen selten gegeben. In folgendem Zitat wird das auch für Vs. Solov'ev geltende Frauenideal meiner Meinung nach adäquat reflektiert: "Im 19. Jahrhundert sah man die Bürgerstochter am Fenster sitzen, über einen Stickrahmen gebeugt, sittsam und tugendhaft. Auf den Mann zu warten, war ihr einziger Lebenssinn. Ihr Blick war stets niedergeschlagen. Ihr Leidenschaftscharakter war gezähmt, ihre Sinne verstümmelt und ihr Aktionsradius eingeengt. Unter dem Dogma patriarchaler Definitionsmacht blieb den Frauen nur die Wahl zwischen dem Lebenskonzept der 'Heiligen' und dem der 'Hure'."
Da Vsevolod Solov'ev von diesem Idealbild nicht abweichen wollte, führte die Begegnung mit einer Frau, die in vielen Dingen mit den traditionellen Lebensnormen gebrochen hatte, für ihn zu einer Krise.
Vsevolod Solov'ev kam im Mai 1884 nach Paris, um E. P. Blavatskaja kennenzulernen. Im selben Jahr traitt er auch in die "Theosophische Gesellschaft" ein. Bis zu seinem Austritt aus der Gesellschaft im Jahr 1886 stand er in regelmäßigemn schriftlichen und persönlichen Kontakt mit Blavatskaja. So besuchte er sie, zum Beispiel, im August 1885 in Würzburg. Auf ihren Wunsch redigierte er auch einige Ihrer Artikel, die sie russischen Zeitschriften anbieten wollteill. Über die genauen Umstände, die zum Zerwürfnis mit Blavatskaja führten, sind wenig historisch abgesicherte Daten erhalten. Solov'ev selbst begründete denes in seinem Bruch damit, daß er Blavatskaja nur entlarven wollte, die behauptete, übersinnliche Phänomene erzeugen zu können. Da Solov'evs Buch erst zwei Jahre nach dem Tode Blavatskajas erschien, konnte sie zu den an sie gerichteten Vorwürfen nicht mehr Stellung nehmen.
Im Nachlaß des Grafen P. N. Certelev [im Puškinskij Dom; (St. Petersburg]) ist ein Brief Blavatskajas enthalten, der Aufschluß darüber gibt, daß die negativen Emotionen auf beiden Seiten schließlich sehr stark warengewesen sein müssen: "... pridetsja prosit' vas pomnit' moj otvet na ves'ma nedobroželatel'noe vran'e vašego 'kritika' Vl. S. Solov'eva. čto za pritča v jazbiščach? Ne znaj ja o suščestvovanii filosofa Solov'eva, ja by prinjala ego kritiku za izlijanie ego počtennogo bratca ... Vsevoloda S. Tak kak odin on mog by napisat' takuju dikuju erundu i v otnošenii filosofskoj ideij i našego obščestva.!"
In der folgenden Analyse der "Sovremennaja žrica Izidy" soll gezeigt werden, daßwie wir es hier, obwohl es sich rein formal um eine auf biographische Fakten gestützte Dokumentation des Autors handelt, wieder mit einer Literarisierung desr MaterialsHauptheldin zu tun haben, wobei die Hauptheldindie diesmal von Solov'ev zur Hexe stilisiert wird. Er ordnet ihr all die Eigenschaften zu, die den klischeehaften Vorstellungen von einer Hexe entsprechen. Ausgangspunkt bildet auch hier zuerst die Erfassung der körperlichen Erscheinung: "... predo mnoju ona - dovol'no vysokogo rosta ženščina, no proizvodjaščaja vpečatlenie prizemistoj, vsledstvie svoej neobyknovennoj tolščiny. Ja zametil, čto ona ves'ma stranno odeta: v kakom-to černom balachane, čto vse pal'cy ee malen'kich, mjagkich, kak budto bezkostnych ruk s očen' tonkimi koncami i dlinnimi nogtjami unizany dragocennymi, bol'šimi kol'cami." Solov'evs Beschreibung des Äußeren Blavatskajas folgt nun dem Prinzip der sich immer mehr verstärkenden Häßlichkeit. Das geht soweit, daß er sie teilweise nicht mehr als Mensch, sondern als "etwas" bezeichnet: "... prinjalis', s velikim trudom, vysaživat' iz diližansa nečto, v nem zaklučavšeesja. Éto nečto - byla sama 'madame', vsja raspuchšaja, izmučennaja putešestviem, vorčavšaja, s temno-serym gromadnym licom i vytaraščennymi, kak dve vycvetšie birjuzy, glazami."
Diese beiden Zitate mögen genügenDie weitere Skizzierung des äußerlichen Erscheinungsbildes der Blavatskaja durch Vs. Solov'ev, genügt vielen allgemeinen für Hexen geltenden Klischees, doch deckt Solov'ev in seinem Buch tatsächlich nach und nach alle äußerlichen Klischees ab, wie sie zum Beispiel Reginald Scot in seiner "Discovery of Witchcraft" beschreibt: "Es sind Frauen, die gewöhnlich alt, lahm, triefäugig, blaß, widerlich und voller Falten sind; arm, mürrisch, abergläubisch ...; oder solche, die keine Religion kennen. ... sie sind ein Schrecken für alle, die sie sehen. Sie sind wirr im Geist, zänkisch, verrückt, teuflisch, und sie unterscheiden sich nicht sehr von denen, die, wie man glaubt, von bösen Geistern besessen sind."
Genau dies entspricht den im weiteren von Solov'ev an Blavatskaja gerichteten Vorwürfen.
Zur Hexe im religiösen Sinne wird Blavatskaja, indem die Bewegung, der sie vorsteht, vom Autor eindeutig als antichristlich gewertet wird. Da hilft es auch nichts, wenn er sie sagen läßt: "... v suščnosti ja takaja - že buddistka, kak i christianka, kak i magometanka. Moja religija - istina, ibo net religii vyše istiny." Der Autor wertet diese Aussage nicht als begrüßenswerten religiösen Kosmopolitismus, der gegenwärtig sicher als Zeichen religiöser Toleranz gelten würde. Solov'ev sieht in einer Gleichsetzung aller Kulte eher eine unzulässige Verwässerung des Christentums, wasdas dessen Zerstörung befördern könntet.
Da sie also keinen traditionellen, religiösen Systemen entsprechenden Glauben hat, kann Blavatskajasihr Kosmopolitismus alles und nichts gleichzeitig repräsentieren. Er würde damit einer "Nullstelle" entsprechen. Dabei bedeutet das Nichts bzw. die Null für das an östlichen Denkmodellen orientierte theosophische Welterklärungsmodell eine unendliche Potenzierung von Möglichkeiten. In Solov'evs Vorstellung aber entspricht sie dem Negativen, der Negation, einer Verneinung. Sie schafft eine Leerstelle, die in der abendländischen Tradition gern mit dämonischen Kräften gleichgesetzt wird. Blavatskaja ist für Solov'ev die Negation per excellence, verneint sie doch all das, was bis dahin für ihn als weibliches Idealbild galt.
Das führt dazu, daß sich hier Solov'ev auch als Autor anders als in seinen historischenanderen Romanen präsentiert, Erzählweise und Autorenperspektive unterscheiden sich stark von seiner herkömmlichen Schreibweise. In den übrigen Romanen haben auch die mehr negativ konzipierten weiblichen Protagonistinnen positive Eigenschaften. Der Autor begreift sich in diesen Fällen als objektiven Schilderer der Ereignisse, der letztendlich über der von ihm geschaffenen Welt steht. Hier nun greift er direkt ins Geschehen ein, indem er dem Leser ständig seine Absichten erläutert und gleichzeitig Blavatskaja ausschließlich negative Attribute zuordnet. Man hat den Eindruck als ob der Autor vorhat, mit Worten das für ihn Böse zu bannen, es scheint, als wolle er sich dem immer noch bei ihm nachwirkenden geistigen Einfluß Blavatskajas jetzt nach ihrem Tode endgültig entledigen.
So haben wir es bei der Beschreibung der Blavatskaja das erste Mal in Solov'evs Oeuvre mit der Beschreibung einer nicht-stereotypen Frauengestalt zu tun. Dieses Nicht-Stereotype, Nicht-Normierbare zerstört aber die in dernach Vorstellung des Autors nach einer bestimmten Hierarchie entsprechend strukturierte Welt. Blavatskaja verkörpertrepräsentiert für ihn eine Gegenwelt. Diese Gegenwelt ist eine Anti-Welt. Ihr Repräsentant wäre als Mann der Antichrist (wie ihn sein Bruder Vladimir Solov'ev beschrieb) und ist als Frau eine Hexe.
Blavatskajas Zauberkräfte liegen in einem bestimmten Bereich. Sie ist laut Solov'ev: "... éta užasnaja i opasnaja vorovka duš!" Und eine Anhängerin Blavatskajas bestätigt ihm schließlich, daß all das "... projavlenie 'temnoj' sily, delo ruk d'javola" sei. Die Theosophin ist in Solov'evs Konzeption ein für den Zugang dämonischer Kräfte geradezu prädestiniertes Medium. Sie verfügt über Fähigkeiten, die es ihr ermöglichen, ihre "Opfer" einzuspinnen und damit in ihrenm Bann zu schlagen: "... ona obrazovala vokrug sebja kakoj-to vichr', v kotoryj, chot' vremenno; popadal vsjakij, prišedšij s neju v neposredstvennoe soprikosnivenie."
Blavatskaja entspricht sowohl dem Typ der Märchenhexe, als auch in religiöser Hinsicht dem Typ "Hexe". Die religiösen Grundeigenschaften wurden weiter oben schon besprochen.
Kennzeichnend für Blavatskajasie als "Märchenhexe" ist, daß sie im Prinzip in einer anderen Welt lebt. Sie glaubt zu zaubern, meint Phänomene erzeugen zu können, die sich auf der realen Ebene als Trugbilder erweisen. Der Autor zerstört diese Trugbilder als Mittler zwischen Märchenwelt und Realität.
Die Autorenperspektive wechselt, sobald er seine direkten Treffen mit der Theosophin beschreibt - er wird von ihr quasi eingesponnen in ihre Welt, wird "gefangengenommen". Damit erscheint ihm ihre Welt in diesen Momenten zeitweise sogar auch real. Sobald er aber ihre Aktivitäten aus sicherer Distanz beobachten kann, ist der Zauber gebrochen, er kehrt in die Wirklichkeit zurück. Solov'ev schaut also gleichzeitig in zwei Welten. Er ist im Märchen anwesend, entzaubert die Märchenwelt und legt damit die Grenzen dieser Welt genau fest.
Schließlich stilisiert Solov'ev sein Zusammentreffen mit Blavatskaja als Kampf des Guten mit dem Bösen. Damit nimmt für ihn die gesamte Auseinandersetzung kosmische Dimensionen an, wobei ihm die Rolle des "heiligen Kriegers" zufällt. Allerdings ermöglicht die Suggestion, mit einer Hexe zu streiten, es dem Autor, ethische Schranken zu überwinden fragwürdige Kampfmittel anzuwenden. Er wird zu ihrem Vertrauten, damit sie ihm ihre, nach seiner Einschätzung "schwarze Seele" öffne. Auch tritt er immer wieder in der Rolle des guten Ratgebers auf, der sie auf den rechten Weg zurückführen möchte, jedoch ohne Erfolg. Sein Fazit ist, daß er ihre Seele zwar nicht retten konnte, durch seine entlarvende Tätigkeit, aber die Welt vor ihr.
Die Frage stellt sich natürlich, warum es Solov'ev hier auf die Skizzierung eines solchen negativen Frauenbildeseinen solch absoluten Negativentwurf einer Frau ankam. Ein Grund liegt sicher darin, daß Blavatskaja für die damalige Zeit ein für eine Frau völlig untypisches Leben führte. Damit trifft auch ein wichtiges Kriterium, das besonders im Mittelalter als Vorwand genommen wurde, um eine Frau der Hexerei anzuklagen, auf Blavatskaja zu - Unabhängigkeit. Eine unabhängige Frau aber ist für den Autor in moralischer Hinsicht untragbar. Am Ende seines Buches läßt er daran im Grunde auch keinen Zweifel: "Predo mnoju vosstal, kak okazalos', chorožo izvestnyj ves'ma mnogim v Rossii obraz iskatel'nicy priključenij; prošedšej čerez vse, čerez čto možet tol'ko projti ženšžčina. Vse ee porazitel'nye priključenija mogli by zabyt'sja. No, ved', vot ona stanovitsja vo glave religioznogo dviženija i ob''javljaet sebja daže ne kajuščejsja Magdalinoj, a 'čistoj, neporočnoj vestalkoj.'" Dies, führt er weiter aus, sei bei ihrem Lebenswandel eine grobe Lüge.
Religiöse Führerschaft, wie sie der Mann in Solov'evs Vorstellung ausüben darf, von dem Keuschheit nicht in jedem Fall gefordert wird, ist für eine Frau undenkbar. Heldentaten im religiösen Sinne sind nach der Meinung des Autors für Frauen nur in Gestalt der "heiligen Jungfrau" oder der "Märtyrerin" möglich.
Doch werden diese Gründe noch nicht völlig dieses Anti-Idealabsolute weibliche Negativbild erklären, tauchen doch in seinen Werken durchaus auch negative Protagonistinnen auf, deren Schwächen er letztendlich immer wieder relativiertdenen er letztendlich aber immer ihre Schwächen vergibt bzw. diese zu erklären sucht.
In Blavatskaja wirdbegegnete Solov'ev im Prinzip mit einem sich imder Entwurf einer Frau des 20. Jahrhundert mehr und mehr durchsetzenden Frauentyp konfrontierts. Sie ist selbständig, mutig, unabhängig. Sie verkörpert damit einen kompromißlosen Bruch mit den traditionellen Weiblichkeitsentwürfen. Solov'ev erlebt hier, durch die Begegnung mit einer Frau, womit Vertreter der Intelligencija zum Jahrhundertbeginn konfrontiert wurden: die Zusammenbrüche überkommener Wertvorstellungen, das Aufkommen neuer religiöser Welterklärungsmodelle.
Solov'ev wird hier gleichzeitig mit dem Problem des Anderen, Andersartigen konfrontiert, was dann im 20. Jahrhundert zu einem wichtigen Baustein der öffentlichen Diskussion geworden ist. Der auf diese Auseinandersetzung noch nicht vorbereitete Solov'ev scheitert an seinen Idealen, die nicht mehr transformiert werden können. Was aber in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation als von der Norm abweichend empfunden wird, gerät in das Reich des Bösen. Die "neue Frau" mußte für Solov'ev zum Symbol einer Hexe werden. Er mußte auch an der Überwindung dieses angeblich Bösen scheitern, das als "Anderes" nunmehr Integration verlangt und nicht mehr Ausschluß.
Weitere Forschungen sollen sich mit der Untersuchung des Verhältnisses Vs. S. Solov'evs zur "Theosophischen Gesellschaft" beschäftigen, zeigte sich doch in seinen Werken, daß er vom theosophischen Weltmodell Blavatskajas sogar einige Zeit seines Lebens beeinflußt war. Die Aufarbeitung von Archivmaterialien und Untersuchung seines Oeuvre könnte dann eventuell mehr Licht in seine persönliche Einstellung zu E. P. Blavatskaja bringen.
* Die Erarbeitung der vorliegenden Publikation wurde ermöglicht durch die Förderung der Volkswagen-Stiftung.
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